Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 477
Ethikrichtlinien sind naturgemäß unternehmensspezifisch. In besonders regulierten Wirtschaftsbereichen werden häufig die jeweils einschlägigen gesetzlichen Vorgaben in Ethikrichtlinien aufgenommen. Im Übrigen gibt es (branchenunabhängig) eine große Bandbreite möglicher Regelungsgegenständen. Diese reichen vom Verbot der Annahme von Geschenken, dem Verbot von Alkohol- und Drogeneinnahme am Arbeitsplatz über den Umgang mit Interessenkonflikten, Beziehungen oder Medienanfragen, der Etablierung fairer und nachhaltiger Standards im Bereich der Arbeitsbedingungen, dem Umweltengagement bis hin zur Nutzung von IT-Einrichtungen. Neben den eigentlichen Wohlverhaltensregeln finden sich in der Regel auch Sanktionen und Verfahrensvorschriften für den Fall von Verstößen. Soweit individualarbeitsrechtliche Maßnahmen wie beispielsweise Abmahnung oder Kündigung angedroht werden, handelt es sich letztlich nur um Hinweise auf die gesetzlich möglichen Sanktionen, die als solche – anders als Sanktionen, die den Charakter einer Betriebsbuße haben – der Mitbestimmung des Betriebsrats nicht unterworfen sind.
Rz. 478
Einleitend werden – obwohl nicht mitbestimmungspflichtig – häufig allgemeine ethische Grundeinstellungen des Unternehmens dargestellt wie beispielsweise Gleichberechtigung, Toleranz, Unparteilichkeit, Einhaltung international anerkannter (Menschenrechts)Standards, Qualitätsbewusstsein, Integrität, Transparenz oder Kollegialität.
Rz. 479
Regelmäßig finden sich zudem Verbote von Benachteiligungen und Belästigungen. Selbst wenn diese nicht über den Wortlaut des AGG hinausgehen, liegt darin nicht lediglich eine deklaratorische Aufzählung gesetzlicher Pflichten. Vielmehr kann der Arbeitgeber damit zugleich der in § 12 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AGG normierten Pflicht zur Ergreifung präventiver Maßnahmen gegen Benachteiligungen im Sinne des AGG nachkommen und sich ggf. durch die Implementation von Ethikrichtlinien gemäß § 12 Abs. 2 S. 2 AGG exkulpieren. Den Betriebsparteien steht es dabei frei, auch solche Verhaltensweisen als unerwünscht zu kennzeichnen, die unterhalb der im AGG aufgestellten Schwelle für Belästigungen und Benachteiligungen liegen.
Rz. 480
Bereits in der Vergangenheit waren sog. Whistleblower-Klauseln wichtiger Bestandteil von Ethikrichtlinien. Dabei handelt es sich um Regelungen, die den Beschäftigten vorgeben, dass und in welcher Weise ihnen zur Kenntnis gelangte Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften und/oder Verstöße gegen sonstige Bestimmungen der Ethikrichtlinie zu melden sind. Mit dem am 2.7.2023 in Kraft getretenen Hinweisgeberschutzgesetz ist der deutsche Gesetzgeber seiner Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden – sog. Whistleblowing-Richtlinie –, nachgekommen, wenngleich mit erheblicher Verspätung.
Rz. 481
In persönlicher Hinsicht regelt das HinSchG den Schutz hinweisgebender Personen i.S.v. § 1 HinSchG. Der sachliche Anwendungsbereich umfasst zunächst Verstöße in den Bereichen gemäß Art. 2 Abs. 1 RL 2019/1937/EU, insbesondere öffentliches Auftragswesen, Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Produktsicherheit und -konformität, Umweltschutz, Gesundheitsschutz und Datenschutz. Der deutsche Gesetzgeber hat aber auch von der durch Abs. 2 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Schutz auf Bereiche oder Rechtsakte auszudehnen, die nicht unter Abs. 1 fallen. So gilt das HinSchG auch für die Meldung und Offenlegung von Informationen über strafbewehrte Verstöße sowie bestimmte bußgeldbewehrte Verstöße, vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HinSchG. Erfolgen kann die Meldung an eine interne Meldestelle gemäß § 12 HinSchG oder eine externe Meldestelle gemäß §§ 19 ff. HinSchG. Den Vorgaben der RL 2019/1937/EU folgend appelliert § 7 Abs. 1 S. 2 HinSchG an hinweisgebende Personen in Fällen, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und sie keine Repressalien befürchten, sich bevorzugt an eine interne Meldestelle zu wenden.
Rz. 482
§ 12 HinSchG verpflichtet Beschäftigungsgeber mit regelmäßig mindestens 50 Beschäftigten zu Einrichtung und Betrieb einer internen Meldestelle. Zur Organisationsform sieht § 14 Abs. 1 HinSchG vor, dass eine bei dem Beschäftigungsgeber oder der jeweiligen Organisationseinheit beschäftigte Person, eine aus mehreren Beschäftigten bestehende Arbeitseinheit oder ein Dritter mit den Aufgaben einer internen Meldestelle betraut wird. Den genauen Verfahrensablauf nach Eingang einer Meldung bestimmt § 17 HinSchG. Als Folgemaßnahme kommt nach § 18 HinSchG insbesondere die Durchführung einer internen Untersuchung oder die Abgabe des Verfahrens an eine für interne Ermittlungen zuständige Arbeitseinheit oder eine zuständige Behörde in Betracht. Hinsichtlich der Schutzmaßnahmen ist insbesondere das Verbot gegen hinweisgebende Personen gerichteter R...