Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 1010
Wenngleich die Betriebsparteien bei der Ausgestaltung des Sozialplans einen weiten Gestaltungsraum haben, haben sie neben Funktion des Sozialplans und Normzweck des § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG auch zwingendes Gesetzesrecht zu beachten. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang sind die Vorschriften des AGG, wenn Sozialpläne Regelungen enthalten, die Differenzierungen aufgrund des Alters der betroffenen Arbeitnehmer beinhalten. Gem. § 10 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern wegen des Alters zulässig, wenn diese objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Gem. § 10 S. 3 Nr. 6 AGG können derartige unterschiedliche Behandlungen Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen einschließen, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, ggf. nach Bezug von Arbeitslosengeld rentenberechtigt sind. Die Regelung nach § 10 S. 3 Nr. 6 AGG steht im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG.
Rz. 1011
Nicht zuletzt seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat sich das BAG immer wieder mit der Frage zu befassen, inwieweit Abfindungen auf Grundlage der Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters der Arbeitnehmer bestimmt werden können. Eine Anknüpfung an das Alter kann vor dem Hintergrund der §§ 7, 10 AGG gerechtfertigt werden, soweit sich auf der Grundlage einer typisierenden Betrachtung darlegen lässt, dass das Alter einen besonderen Nachteil gegenüber den Angehörigen anderer Altersgruppen verursacht. Nach Ansicht des BAG dürfen die Betriebsparteien im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums davon ausgehen, dass sich die Arbeitsmarktchancen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer mit zunehmendem Alter fortschreitend verschlechtern. Vor diesem Hintergrund hatte das BAG entschieden, dass die Betriebsparteien mit der Regelung eines Alterszuschlags bei Sozialplanabfindungen legitime Ziele i.S.d. § 10 AGG verfolgen. Ob der konkrete Alterszuschlag nach § 10 S. 2 AGG angemessen und erforderlich ist, unterliegt allerdings der gerichtlichen Überprüfung im Einzelfall. Auch eine nach Altersgruppen gestaffelte Abfindungsregelung ist demnach möglich, soweit die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt werden. Zulässig sind überdies Kappungsgrenzen für Abfindungsansprüche. Damit ist zwar eine mittelbare Ungleichbehandlung älterer Beschäftigter verbunden, die aber nach § 3 Abs. 2 Hs. 2 AGG gerechtfertigt ist. Höchstbetragsbegrenzungen können empfehlenswert sein, um das Risiko zu begrenzen, dass aufgrund unwirksamer Differenzierungsbestimmungen im Sozialplan Anpassungen "nach oben" erforderlich werden. Ein Sozialplan darf nach Ansicht des EuGH eine geminderte Entlassungsabfindung für Arbeitnehmer vorsehen, die kurz vor dem Renteneintritt stehen. Allerdings stellt es nach Ansicht des EuGH eine unionsrechtswidrige Diskriminierung dar, wenn bei der Berechnung dieser Minderung die Möglichkeit einer vorzeitigen Altersrente wegen einer Behinderung berücksichtigt wird. Gleichermaßen unzulässig sind Regelungen, wonach die Zahlung eines zusätzlichen Abfindungsbetrags zum Ausgleich der durch eine Schwerbehinderung bedingten wirtschaftlichen Nachteile bei älteren schwerbehinderten Beschäftigten unterbleibt. Inwieweit Differenzierungen hinsichtlich einer vorzeitigen Altersrente für vor dem 1.1.1952 geborene Frauen nach § 237a Abs. 1 SGB VI oder besonders langjährig Versicherte nach § 38 SGV VI zulässig sind, konnte das BAG bislang offenlassen. Der den Betriebsparteien durch § 10 S. 3 Nr. 6 AGG eingeräumte Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum für eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung bei Sozialplanleistungen wird nach Ansicht des BAG nicht überschritten, wenn ältere Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ausgeschlossen werden, die nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I nahtlos eine Regelaltersrente beanspruchen können und zuvor die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses an einem anderen Unternehmensstandort abgelehnt haben. Gleichermaßen kann die mit einem Ausschluss von Arbeitnehmern, die nach dem Ausscheiden oder einem möglichen Bezug von Arbeitslosengeld I eine gekürzte oder ungekürzte Altersrente in Anspruch nehmen können, von Sozialplanleistungen verbundene unmittelbare Altersdiskriminierung gerechtfertigt sein, sofern der Ausschluss angemessen und erforderlich ist. In einem Ausschluss einer Entlassungsentschädigung ...