Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 970
Kommt ein Interessenausgleich zustande, kann der Unternehmer im Anschluss daran mit der Umsetzung der Betriebsänderung beginnen, also z.B. nach Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG und Beachtung des Massenentlassungsverfahrens Kündigungen aussprechen.
Rz. 971
Einigen sich die Betriebsparteien über die geplante Betriebsänderung nicht, genügt es dem Unternehmer, wenn er einen Interessenausgleich lediglich "versucht" hat. Der Betriebsrat kann den Abschluss eines Interessenausgleichs (im Gegensatz zum Sozialplan) nicht über die Einigungsstelle erzwingen. Der Unternehmer muss aber für einen ausreichenden "Versuch" den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplante Betriebsänderung unterrichten und sie mit ihm mit dem ernsthaften Willen der Verständigung beraten. Dazu muss er sich auch mit den vom Betriebsrat vorgeschlagenen Alternativen zur geplanten Betriebsänderung befassen und argumentativ auseinandersetzen. Gelingt eine Einigung über den Interessenausgleich nicht, muss der Arbeitgeber das Verfahren nach §§ 111, 112 BetrVG voll ausschöpfen, wenn er Nachteilsausgleichsansprüche vermeiden möchte. Denn durch das Verfahren soll gewährleistet werden, dass der Betriebsrat Einfluss auf die Willensbildung und Entscheidung des Unternehmers nehmen kann, um die Interessen der Arbeitnehmer möglichst früh einfließen zu lassen. Deshalb ist ein Interessenausgleich auch erst dann ausreichend "versucht", wenn der Unternehmer oder der Betriebsrat die Einigungsstelle angerufen hat (§ 112 Abs. 2 S. 2 BetrVG) und die Verhandlungen dort letztendlich scheitern. Wenn der Unternehmer die Betriebsänderung allerdings bereits durchgeführt und vollendete Tatsachen geschaffen hat, besteht für einen Interessenausgleich kein Raum mehr. Der Betriebsrat muss auf das Ob und Wie der Betriebsänderung noch Einfluss nehmen können. Andernfalls ist die nach § 112 Abs. 2 BetrVG für den Versuch eines Interessenausgleichs einzusetzende Einigungsstelle offensichtlich unzuständig.
Rz. 972
Praxishinweis
Das Gesetz sieht außerdem vor, dass Unternehmer oder Betriebsrat vor Einschaltung der Einigungsstelle auch den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersuchen können (§ 112 Abs. 2 S. 1 BetrVG). Von dieser Möglichkeit wird in der Praxis allerdings selten Gebrauch gemacht.
Rz. 973
Sobald das Verfahren zum Versuch eines Interessenausgleichs abgeschlossen ist – also die Verhandlungen zum Interessenausgleich vor der Einigungsstelle gescheitert sind –, kann der Unternehmer (unabhängig von einer Zustimmung des Betriebsrats) die geplante Betriebsänderung umsetzen, ohne dass ihm rechtliche Nachteile drohen. Hinsichtlich des Interessenausgleichs hat der Betriebsrat also nur die Möglichkeit, die Umsetzung der Betriebsänderung zu verzögern (was wirtschaftlich aber sehr bedeutsam sein kann), nicht aber, sie zu verhindern.