Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 918
Nur unter den Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 BetrVG bzw. § 58 Abs. 1 BetrVG ist bei zwingender Notwendigkeit einer einheitlichen Auswahlrichtlinie für alle oder mehrere Betriebe eines Unternehmens die Zuständigkeit des Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrats denkbar. Will beispielsweise der Arbeitgeber die Auswahlrichtlinien unternehmenseinheitlich einführen, ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 BetrVG der GBR zuständig. Selbst bei Zuständigkeit des GBR ist auch dessen Initiativrecht durch die Bindung an die Betriebsgröße beschränkt, so dass auch er nur Auswahlrichtlinien für Betriebe mit mehr als 500 Arbeitnehmern verlangen kann. Ein unternehmensweites Initiativrecht steht somit dem GBR allenfalls zu, wenn alle Betriebe des Unternehmens den Schwellenwert überschreiten. Nicht ausreichend wäre es, wenn nur in seinem Organisationsbereich insgesamt mehr als 500 Arbeitnehmer tätig sind. Wurde eine GBV über Auswahlrichtlinien im Rahmen der Zuständigkeit des GBR geschlossen, hat der Einzel-BR hinsichtlich des in ihr geregelten Gegenstandes kein Initiativrecht mehr.
Die "Risiko" für den Arbeitgeber bei durch Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung eingeführter Auswahlrichtlinie, insbesondere auch für Kündigungen, liegt u.a. darin, dass eine spezielle Berücksichtigung der Besonderheiten einzelner Betriebe, für die die Richtlinie gilt, dann nur noch bedingt möglich ist. Fraglich dürfte in dem Zusammenhang sein, ob eine Auswahlrichtlinie durch einen Gesamt- oder Konzernbetriebsrat dergestalt abgeschlossen werden kann, dass sie unterschiedliche Regelungen für die verschiedenen von ihr erfassten Betriebe enthält. Würde man dies erwägen, so könnte das gegen eine originäre Zuständigkeit dieser Gremien sprechen, §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 BetrVG. Bei einer lediglich freiwilligen Regelung durch einen Gesamt- oder Konzernbetriebsrat bleibt dagegen die originäre Zuständigkeit und gegebenenfalls das Initiativrecht eines örtlichen BR unberührt. In einer solchen Situation sollte also der Arbeitgeber auf eine schriftliche Delegation der Angelegenheit an den Gesamtbetriebsrat durch den bzw. die örtlich zuständigen BR-Gremien bestehen (die sich sowohl auf die Verhandlung als auch den Abschluss der Vereinbarung erstreckt), §§ 50 Abs. 2, 58 Abs. 2 BetrVG. Vorgesehen ist dabei nach dem Wortlaut des Gesetzes nur eine Delegationsmöglichkeit des BR an den Gesamtbetriebsrat und die des Gesamtbetriebsrats an den Konzernbetriebsrat, wenngleich in der Praxis auch "Sprungdelegationen" vom BR an den Konzernbetriebsrat anzutreffen sind bzw. eine unmittelbare "Durchdelegation" des vom örtlichen BR beauftragten Gesamtbetriebsrats an den Konzernbetriebsrat erfolgt, was zulässig sein dürfte.
In Tendenzbetrieben besteht für die Aufstellung von Auswahlrichtlinien für Tendenzträger kein Zustimmungserfordernis.
Rz. 919
Bestehen andere spezialgesetzliche Mitwirkungsrechte (bspw. eine Integrationsvereinbarung nach § 83 SGB IX), so wird § 95 BetrVG nicht verdrängt, sondern bleibt selbstständig daneben anwendbar.