Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 974
Unterrichtet der Unternehmer den Betriebsrat nicht über die geplante Betriebsänderung, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße bis zu 10.000 EUR geahndet werden kann (§ 121 BetrVG).
Rz. 975
Beginnt der Unternehmer mit der Umsetzung der geplanten Betriebsänderung, ohne einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat ausreichend "versucht" zu haben, trifft ihn die Nachteilsausgleichspflicht des § 113 Abs. 3 BetrVG, wenn Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Auf ein Verschulden oder eine Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Unternehmers kommt es nicht an; die Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG greift auch dann ein, wenn zwingende Gründe für die Betriebsänderung vorliegen oder Arbeitgeber und Betriebsrat sich einig über die Betriebsänderung sind, aber diese Einigung nicht in einem schriftlichen Interessenausgleich niederlegen. Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, wann der Unternehmer mit der Durchführung einer Betriebsänderung beginnt, da dies darüber entscheidet, ob er nachteilsausgleichspflichtig ist oder nicht. Dies ist nach der Rechtsprechung des BAG erst dann der Fall, wenn er unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft, was jedenfalls beim Ausspruch von Kündigungen gegenüber der Belegschaft oder bei unwiderruflichen Freistellungen in der Regel der Fall ist. Die bloße tatsächliche Einstellung einer Geschäftstätigkeit, die Kündigung von Mietverträgen, das Verbringen von Betriebsmitteln an andere Standorte, die widerrufliche Freistellung der Arbeitnehmer, die Anhörung des Betriebsrats zu den beabsichtigten Kündigungen nach § 102 BetrVG und die Erstattung der Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG stellen noch keinen Beginn der Betriebsstillegung dar, da sie rückgängig gemacht werden können und nicht zum Ausspruch von Kündigungen zwingen.
Rz. 976
Praxishinweis
Die Nachteilsausgleichspflicht erwartet den Unternehmer auch dann, wenn er ohne zwingenden Grund von einem vereinbarten Interessenausgleich abweicht (§ 113 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG) oder wenn er das Interessenausgleichsverfahren mit einer unzuständigen Arbeitnehmervertretung durchgeführt hat.
Rz. 977
Der Anspruch der Arbeitnehmer richtet sich üblicherweise darauf, den Arbeitgeber zur Zahlung von Abfindungen zu verurteilen, wenn sie im Zuge der Umsetzung der Betriebsänderung entlassen werden. Es kann aber auch der Ausgleich anderer vermögenswerter Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten gefordert werden, z.B. erhöhte Fahrkosten bei einer Betriebsverlegung.
Rz. 978
Die Höhe der Abfindung, die ein Gericht i.R.d. Nachteilsausgleichs für einen entlassenen Arbeitnehmer festsetzen kann, richtet sich nach § 10 KSchG (§ 113 Abs. 1 Hs. 2 BetrVG). Dieser sieht je nach Lebensalter und Beschäftigungsdauer einen Rahmen von maximal 12, 15 oder 18 Monatsverdiensten vor. Bei der Bemessung der Abfindung orientiert sich das Arbeitsgericht insbesondere am Alter des Arbeitnehmers, seiner Betriebszugehörigkeit und seinen Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Außerdem kann das Gericht das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers berücksichtigen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers spielen dagegen für die Höhe der Abfindung keine Rolle, weil der Nachteilsausgleich Sanktionscharakter hat.
Rz. 979
Praxishinweis
Die aufgrund eines Sozialplans gezahlte Abfindung kann auf den Anspruch auf Nachteilsausgleich angerechnet werden, was im Sozialplan entsprechend geregelt werden sollte. Dies hat das BAG auch unter Berücksichtigung der EG-Massenentlassungsrichtlinie entschieden, da der Verstoß gegen Pflichten im Rahmen der Massenentlassung ausreichend durch die Unwirksamkeit der Kündigungen sanktioniert ist.