Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 974
Die besonderen Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG lassen die sonstigen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats grds. unberührt. Ist eine Betriebsänderung z.B. mit Kündigungen von Arbeitnehmern verbunden, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat zusätzlich zu den einzelnen Kündigungen anhören (§ 102 BetrVG) und ggf. seine Beteiligungsrechte bei Massenentlassungen (§ 17 KSchG) wahren.
aa) Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG
Rz. 975
Die Anhörung des Betriebsrats zu Kündigungen nach § 102 BetrVG – für die stets der örtliche Betriebsrat zuständig ist – unterliegt keinen erleichterten Anforderungen. Auch bei einem vorgeschalteten Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat neben näheren Informationen über die Person des betroffenen Arbeitnehmers die Art und den Zeitpunkt der Kündigung und die seiner Ansicht nach maßgeblichen Kündigungsgründe mitteilen und zwar individuell für jeden einzelnen betroffenen Arbeitnehmer. Nur die Tatsachen, die dem Betriebsrat bereits aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich bekannt sind, muss der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren nicht erneut vortragen. Derartige Vorkenntnisse des Betriebsrats muss der Arbeitgeber im Fall eines Rechtsstreits über die betriebsbedingte Kündigung aber konkret darlegen und ggf. beweisen.
Rz. 976
Auch wenn Arbeitgeber und Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG vereinbart haben, ist der Arbeitgeber nicht von der Pflicht zur Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 BetrVG entbunden. Er muss trotzdem eine individuelle Anhörung für jeden einzelnen Arbeitnehmer durchführen.
Rz. 977
Das Verfahren nach § 102 BetrVG kann deshalb zwar mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verbunden werden. Die Anhörung des Betriebsrats wird in diesem Fall aber nicht schon deshalb als ordnungsgemäß angesehen, weil der Betriebsrat im Interessenausgleich bestätigt, dass er zu allen Kündigungen ordnungsgemäß angehört worden ist. Es ist deshalb große Vorsicht geboten, die Betriebsratsanhörung "pauschal" im Interessenausgleichsverfahren "mitzuerledigen".
Rz. 978
Praxishinweis
Trotzdem kann es aber – insbesondere bei einem Interessenausgleich mit Namensliste, bei dem üblicherweise sehr detailliert über die einzelnen Arbeitnehmer gesprochen und diskutiert wird – empfehlenswert sein, die individuelle Betriebsratsanhörung mit dem Interessenausgleichsverfahren zu verbinden und die Stellungnahme des Betriebsrats zu den einzelnen Kündigungen "gesammelt" im Interessenausgleich wiederzugeben. Dadurch vermeidet der Arbeitgeber das Risiko, dass der Betriebsrat nach umfangreichen Verhandlungen und Erstellung der Namensliste im Rahmen der individuellen Betriebsratsanhörungen nach § 102 Abs. 3 BetrVG den Kündigungen widerspricht und die zu kündigenden Arbeitnehmer so einen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG geltend machen können. Dafür kann es sich lohnen, etwaige Beweisschwierigkeiten in Kauf zu nehmen. Auf der sicheren Seite ist der Arbeitgeber, wenn er dem Betriebsrat individuelle Anhörungsschreiben übergibt und erst im Anschluss daran die "Erledigung" des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG im Interessenausgleich festgehalten wird.
bb) Beteiligung bei Massenentlassungen nach § 17 Abs. 2 KSchG
Rz. 979
Auch die Beteiligung des Betriebsrats i.R.v. Massenentlassungen gem. § 17 Abs. 2 KSchG muss grds. gesondert erfolgen. Dabei handelt es sich um ein zweistufiges Verfahren, das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG steht selbständig neben dem Anzeigeverfahren bei der Arbeitsagentur nach § 17 Abs. 3 KSchG und ist mit diesem "verschränkt". Aus beiden Verfahren können sich jeweils eigene Unwirksamkeitsgründe für die betriebsbedingten Kündigungen ergeben. Insofern ist größte Sorgfalt anzulegen.
Der Arbeitgeber kann zwar das Interessenausgleichsverfahren nach § 111 ff. BetrVG mit dem Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG verbinden und die Informations- und Beratungspflichten gleichzeitig erfüllen, soweit sie identisch sind. Er muss in diesem Fall aber hinreichend klarstellen, dass und welchen Pflichten er zeitgleich nachkommen will. Die Einleitung des Konsultationsverfahrens erfordert zumindest, dass dem Betriebsrat die Absicht des Arbeitgebers, Massenentlassungen vorzunehmen, erkennbar ist. Wird dem Betriebsrat dies nicht erkennbar und wird das Konsultationsverfahren deshalb nicht durchgeführt, sind Kündigungen wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB unwirksam.
Das Konsultationsverfahren sollte deshalb dadurch eingeleitete werden, d...