Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 810
Bei einer ordentlichen Kündigung, der der BR widersprochen hat, kann der gekündigte Arbeitnehmer, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses seine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus verlangen. Voraussetzung für diesen betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch ist der frist- und ordnungsgemäße Widerspruch des BR und die Erhebung einer fristgerechten Feststellungsklage nach dem Kündigungsschutzgesetz, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst ist; der Antrag muss § 4 KSchG entsprechen. Im Falle einer Änderungskündigung entfällt der Weiterbeschäftigungsanspruch zu den bisherigen Bedingungen, wenn die angebotenen neuen Arbeitsbedingungen zumindest unter dem Vorbehalt angenommen wurden, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt war, vgl. § 2 KSchG. Dies gilt nur dann nicht, wenn mit der Änderungskündigung eine Versetzung einhergeht, zu der der BR seine Zustimmung verweigert, denn dann ist die Wirkung der Änderungskündigung bis zur Zustimmung des BR suspendiert und der Arbeitnehmer kann die Weiterbeschäftigung auf seinem ursprünglichen Arbeitsplatz verlangen. Der ArbG kann dann prüfen, ob ihm zwingende betriebliche oder persönliche Gründe zur Seite stehen, um den Arbeitnehmer sodann vorübergehend von der Arbeitspflicht bezahlt freizustellen. Schließlich setzt der Weiterbeschäftigungsanspruch das ausdrückliche Verlangen des Arbeitnehmers voraus, nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt zu werden.
Rz. 811
Der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch unterscheidet sich erheblich vom allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BAG, denn im Gegensatz zu diesem besteht das Arbeitsverhältnis beim betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch für die Dauer der Weiterbeschäftigung auflösend bedingt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens fort. Dies bedeutet vor allem, dass die Vergütung wie im ungekündigten Arbeitsverhältnis auch für bestimmte Zeiten ohne Arbeitsleistung beansprucht werden kann, etwa bei Arbeitsunfähigkeit nach dem EFZG oder im Falle des § 616 S. 1 BGB, anders als bei einer Beschäftigung aufgrund des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs. Ist der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch tituliert, erfüllt der Arbeitgeber ihn aber nicht, schuldet er dennoch das Annahmeverzugsentgelt, sofern der Arbeitgeber erkennbar gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG – und nicht etwa nur wegen des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs – zur Weiterbeschäftigung verurteilt wurde.
Rz. 812
Fällt das Arbeitsverhältnis – wegen zu kurzer Betriebszugehörigkeit oder nicht erreichter Unternehmensgröße (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG) – nicht unter den Geltungsbereich des KSchG, entfällt der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch, denn § 102 Abs. 5 BetrVG setzt die Erhebung einer Feststellungsklage nach § 4 KSchG voraus. Nach a.A. wird aus der Neufassung des § 4 S. 1 KSchG, wonach der Arbeitnehmer nicht nur die fehlende soziale Rechtfertigung sondern auch die Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen binnen der Drei-Wochen-Frist anzugreifen hat, gefolgert, dass auch Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz den Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG geltend machen können. Allerdings dürfte dann im Regelfall die Möglichkeit der Entbindung des Arbeitgebers von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BetrVG in Ermangelung hinreichender Erfolgsaussichten der Klage bestehen und der Weiterbeschäftigungsanspruch wegen einer entsprechenden einstweiligen Verfügung ins Leere laufen.
Rz. 813
Bei Rücknahme der Kündigungsschutzklage entfällt der Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Gleiches gilt, wenn der BR einer weiteren ordentlichen Kündigung nicht form- und fristgerecht widerspricht oder der Arbeitnehmer nicht gemäß § 4 KSchG Kündigungsschutzklage erhebt. Da der Weiterbeschäftigungsanspruch nur im Falle der ordentlichen Kündigung besteht, entfällt er auch bei einer nachträglich ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung.
Rz. 814
Das Recht zur Geltendmachung der vorläufigen Weiterbeschäftigung steht nur dem einzelnen Arbeitnehmer, nicht aber dem BR zu. Der Antrag ist innerhalb der Kündigungsfrist zu stellen; nach der Rechtsprechung des BAG hat er aber allerspätestens am ersten Arbeitstag nach Ablauf der Kündigungsfrist zu erfolgen, denn entscheidend ist, dass keine Beschäftigungslücke entsteht. Etwas anderes gilt nur, wenn die Kündigungsfrist kürzer als die Drei-Wochen-Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG) ist; in diesem Fall genügt es, wenn der Arbeitnehmer unverzüglich nach fristgerechter Erhebung der Kündigungsschutzklage seine vorläufig...