Wolfgang Arens, Jürgen Brand
1. Antrag auf Zustimmung des Arbeitsgerichts
Rz. 94
Dem Insolvenzverwalter ist außerdem die Möglichkeit eingeräumt, die Zustimmung des Arbeitsgerichts gem. § 122 Abs. 1 InsO zur Betriebsänderung ohne Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens zu beantragen, wenn innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn bzw. nach Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich nicht zustande gekommen ist.
Rz. 95
Um die Verzögerungen zu vermeiden, die nach dem üblichen Verfahren dadurch entstehen, dass das Einigungsverfahren einschließlich der Durchführung der Verhandlungen vor der Einigungsstelle voll ausgeschöpft wird, ist die Regelung in § 122 InsO eingeführt worden. Danach wird es dem Insolvenzverwalter nach dreiwöchiger ergebnisloser Verhandlung mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich erlaubt, nach Zustimmung durch das Arbeitsgericht geplante Betriebsänderungen durchzuführen, bevor das in § 112 Abs. 2 BetrVG vorgesehene Verfahren für das Zustandekommen eines Interessenausgleichs abgeschlossen ist, ohne dass die Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG (Nachteilsausgleichspflicht) eintritt.
Rz. 96
Das Arbeitsgericht Berlin hat den Antrag der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG in Eigenverwaltung, ihr gemäß § 122 InsO die Stilllegung des Betriebs zu gestatten, ohne hierüber zuvor mit der Personalvertretung Kabine Verhandlungen in einer Einigungsstelle geführt zu haben, als unzulässig abgewiesen. Air Berlin habe mit unumkehrbaren Maßnahmen bereits mit der Betriebsstilllegung begonnen, indem sämtlichen Pilotinnen und Piloten schon gekündigt worden sei. Für ein gerichtliches Verfahren auf Zustimmung zu einer Betriebsstilllegung fehle es daher an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse.
2. Verfahrensrechtliche Regelungen
Rz. 97
Die Zustimmung des Arbeitsgerichts muss der Insolvenzverwalter beantragen. Das Arbeitsgericht entscheidet dabei durch Beschluss. Der Betriebsrat ist an dem Verfahren im Beschlussverfahren nach dem ArbGG beteiligt.
Rz. 98
Antragsvoraussetzungen gem. § 122 Abs. 1 S. 1 InsO sind lediglich, dass eine Betriebsänderung geplant ist und zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich nach § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen zustande kommt, obwohl der Insolvenzverwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat.
Rz. 99
Der Antrag des Insolvenzverwalters ist nach Maßgabe des § 61a Abs. 3 bis 6 ArbGG in diesem Beschlussverfahren vorrangig zu erledigen (Beschleunigungsgrundsatz).
Rz. 100
Hinweis
Das einzige Rechtsmittel gegen den arbeitsgerichtlichen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde zum BAG. Diese Rechtsbeschwerde ist wiederum an die Voraussetzung geknüpft, dass sie in dem Beschluss des Arbeitsgerichts zugelassen ist.
Rz. 101
Praxistipp
Diesen Weg der Zustimmungsersetzung nach § 122 InsO sollte der Insolvenzverwalter allerdings im Hinblick auf das Risiko eines Unterliegens im arbeitsgerichtlichen Verfahren nur parallel zur Aufnahme bzw. zur Fortsetzung der Interessenausgleichsverhandlungen gehen.
3. Entscheidungsgrundlagen
Rz. 102
Das Arbeitsgericht wägt dabei die Interessen der Arbeitnehmer gegen die Interessen der Insolvenzmasse (Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit) gegeneinander ab. Das Arbeitsgericht muss die Zustimmung erteilen, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer es erfordert, dass die Betriebsänderung ohne ein vorheriges vollständiges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchgeführt wird.
Rz. 103
Beispiel
Das Arbeitsgericht soll die Zustimmung insbesondere dann erteilen müssen, wenn der Betrieb nicht genug produktiv ist, seine laufenden Kosten einschließlich der Personalkosten aus den laufenden Einnahmen zu decken.
Rz. 104
Das ArbG Lingen führt dazu aus: Die Entscheidung des Arbeitsgerichts nach § 122 Abs. 2 S. 1 InsO ergeht nicht über die Frage des "Ob" der Betriebsänderung, sondern über die Frage des "Wann" (vor Durchführung des Einigungsstellenverfahrens oder danach). Sie ist keine Zustimmung zu der geplanten Betriebsänderung. Es geht lediglich um den Zeitpunkt der Betriebsänderung, um die Eilbedürftigkeit der Umsetzung der Entscheidung des Insolvenzverwalters. Das Arbeitsgericht hat insbesondere nicht darüber zu befinden, ob die geplante Betriebsänderung sinnvoll oder wirtschaftlich zweckmäßig ist.
Rz. 105
Hinweis
Im Rahmen des § 122 Abs. 2 S. 1 InsO ist es kein relevanter sozialer Belang der Arbeitnehmer, dass die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens die Realisierung der Betriebsänderung ver...