Rolf Klutinius, Jan Therstappen
Rz. 101
Gemäß E.1.1.3 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. In der Praxis ist diese Bestimmung insbesondere für zwei Fallgruppen von großer Bedeutung, und zwar bei Unfallflucht und bei falschen Angaben in der Schadenanzeige.
Rz. 102
Verwirklicht der Versicherungsnehmer den Straftatbestand der Unfallflucht i.S.d. § 142 Abs. 1 StGB, verletzt er damit i.d.R. zugleich seine Aufklärungsobliegenheit gem.E.1.1.3 AKB. Soweit Unfallflucht i.S.d. § 142 Abs. 1 StGB vorliegt, wird das Aufklärungsinteresse des Versicherers gewissermaßen durch eine Reflexwirkung geschützt, weil die Strafvorschrift auf dem Wege über die polizeilichen Ermittlungen mittelbar auch dem Versicherer zugutekommt, indem er das Ergebnis dieser Ermittlungen verwerten kann. Auch ein laufendes Ermittlungsverfahren rechtfertigt keine falschen Angaben gegenüber dem Versicherer.
Besonderheiten gelten bei einer Unfallflucht nach § 142 Abs. 2 StGB. Danach können ohne Strafbarkeit Feststellungen unverzüglich nachträglich ermöglicht werden, wenn die Wartefrist verstrichen ist. Aus der Verletzung der Handlungspflichten nach § 142 Abs. 2 StGB folgt nicht automatisch eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, da zunächst ein berechtigtes Entfernen vom Unfallort erfolgt. Sofern der Versicherungsnehmer seinen Versicherer zu einem Zeitpunkt informiert, zu dem er durch Mitteilung an den Geschädigten seine Strafbarkeit noch hätte abwenden können, wird das Aufklärungsinteresse des Versicherers nicht in jedem Fall beeinträchtigt.
Rz. 103
Das OLG Saarbrücken ist davon ausgegangen, dass jedenfalls dann eine relevante leistungsbefreiende Obliegenheitsverletzung entfalle, wenn die Mitverursachung des Schadens durch einen Dritten ausscheidet und die Haftungslage eindeutig ist. Denn insofern komme ein Rückgriff des Versicherers nach § 86 Abs. 1 VVG nicht in Betracht. Darüber hinaus gehöre in den Fällen einer eindeutigen Haftungslage die Feststellung einer alkoholbedingten Beeinflussung des Fahrers gerade nicht zu den von § 142 StGB geschützten Interessen.
Rz. 104
Der BGH hat das Urteil des OLG Saarbrücken aufgehoben und festgestellt, dass eine Unfallflucht i.S.v. § 142 StGB auch bei eindeutiger Haftungslage eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kfz-Haftpflichtversicherung und in der Kaskoversicherung ist. Nach E.1.3 AKB hat ein Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Die Aufklärungsobliegenheit ist danach erkennbar weit gefasst. Sie schließt die Auskunftsobliegenheit nach § 31 Abs. 1 VVG ein, geht aber in gesetzlich zulässiger Weise (§ 32 VVG) darüber hinaus. Sie erschöpft sich nicht im Erteilen von Informationen, sondern erstreckt sich grundsätzlich auch auf das Verhalten des Versicherungsnehmers am Unfallort. So ist die Aufklärungsobliegenheit z.B. verletzt, wenn Unfallspuren beseitigt oder die polizeilichen Ermittlungen durch wahrheitswidrige Angaben in eine falsche Richtung gelenkt werden. Das bloße Verlassen der Unfallstelle stellt dagegen nur, aber auch stets eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit dar, wenn dadurch der objektive und subjektive Tatbestand des § 142 StGB erfüllt wird. Auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung ist davon auszugehen, dass die vertragliche Aufklärungsobliegenheit die strafrechtlich sanktionierte Rechtspflicht mit umfasst. Denn hierbei handelt es sich um eine elementare, allgemeine und jedem Versicherungsnehmer und Kraftfahrer bekannte Pflicht. Deshalb entfällt bei der Unfallflucht die Aufklärungsobliegenheit auch dann nicht, wenn die Haftungslage eindeutig ist. Verneint man bei eindeutiger Haftungslage trotz Unfallflucht eine Aufklärungspflicht, wird die dem Versicherer vertraglich eingeräumte Prüfungsmöglichkeit entscheidend verkürzt. Da es um die Leistungspflicht des Versicherers geht, ist es auch seine Sache, die Haftungslage zu prüfen. Die Aufklärungsobliegenheit entfällt auch nicht wegen eines unzumutbaren Zwangs zur Selbstanzeige und eines Widerspruchs zur Beweislastregelung des § 81 VVG. § 142 StGB mutet es dem Unfallbeteiligten zu, dass es bei Beachtung der Rechtspflicht zu einer Strafverfolgung wegen einer Trunkenheitsfahrt kommen kann. Entfernt er sich unerlaubt vom Unfallort, macht er sich in jedem Fall strafbar. Der Zweck der Vorschrift besteht im Wesentlichen darin, den Versicherungsnehmer zu zwingen, an der Aufklärung des Sachverhalts auch insoweit mitzuwirken, als es um Tatsachen geht, die zum Verlust des Versicherungsschutzes führen können.
Rz. 105
Dem OLG Bremen lag ein Sachverhalt zur Entscheidung vor, in dem ein Repräsentant des Versicherungsnehmers als Beifahrer Beihilfe zum unerlaubten Entfernen durch Unterlassen geleistet hatte. Streitig war nun, ob die Aufklärungsobliegenheit überhaupt durch Unterlassen verletzt werden kann, was durch das OLG ...