Rz. 175
Bei der Pfändung durch einen bevorrechtigten Gläubiger ist dem Schuldner von seinem Arbeitseinkommen nur so viel zu belassen, wie er für seinen eigenen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem pfändenden Gläubiger vorgehenden Berechtigten und zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf (§ 850d Abs. 1 S. 2 ZPO). Ein Blankett-Beschluss nach § 850c ZPO kann nicht ergehen. Das Vollstreckungsgericht hat den Freibetrag für den Schuldner konstitutiv ziffernmäßig in dem Pfändungsbeschluss festzustellen.
Rz. 176
Gleichmäßige Befriedigung gleichstehender Unterhaltsberechtigter bedeutet jedoch nicht unbedingt Berücksichtigung nach Köpfen, sondern das Vollstreckungsgericht kann auch eine Verteilung des verfügbaren Nettomehreinkommens nach dem Verhältnis der jeweiligen Unterhaltsbedürfnisse bzw. der Höhe der titulierten Forderungen vornehmen. Letzteres setzt jedoch Detailkenntnisse des Vollstreckungsgerichts voraus, die im Regelfall vor Erlass der Pfändung nicht vorliegen.
Rz. 177
Der dem Schuldner hiernach zu belassene notwendige Unterhalt ist regelmäßig anhand dessen zu berechnen, was dem Schuldner nach den Vorschriften des SGB XII als laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren ist. Eine Generalisierung durch Tabellenwerte ist durchaus zulässig. Bei Ermittlung des notwendigen Unterhalts des Schuldners ist es unerheblich, von welchem Unterhaltsbedarf das Gericht im Erkenntnisverfahren ausgegangen ist und in welchem Umfang dies im Unterhaltstitel Berücksichtigung gefunden hat. Allerdings soll dem Schuldner als Arbeitsanreiz immer etwas mehr als der Sozialhilfesatz verbleiben.
Rz. 178
Feste Regeln gibt es nicht. Die Praxis geht weitgehend nach regionalen Kriterien vor. In einer Grundsatzentscheidung führt der BGH aus:
Zitat
"Was dem Vollstreckungsschuldner bei der erweiterten Pfändung als notwendiger Unterhalt verbleiben muss, entspricht in der Regel dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne der Abschnitte 2 und 4 des Bundessozialhilfegesetzes [jetzt SGB XII]. Der Freibetrag kann nicht nach den Grundsätzen bemessen werden, die im Unterhaltsrecht für den sogenannten notwendigen Selbstbehalt gelten, der in der Regel etwas oberhalb der Sozialhilfesätze liegt. Im Rahmen von § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO können als Richtsätze für den notwendigen Unterhalt des Vollstreckungsschuldners die Unterhaltsrichtlinien der OLG – z.B. Düsseldorfer Tabelle – nicht herangezogen werden. Denn die Richtlinien sind auf das materielle Unterhaltsrecht bezogen. Mit dem notwendigen Selbstbehalt, der dem Unterhaltspflichtigen in den Mangelfällen des § 1603 Abs. 2 BGB auch seinen minderjährigen Kindern gegenüber verbleiben muss, darf der notwendige Unterhalt des Vollstreckungsschuldners nicht gleichgesetzt werden. Die Verdoppelung der nach § 22 Abs. 2 BSHG festgesetzten Regelsätze für die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt sind ebenfalls ungeeignet. Die Höhe der Regelsätze des § 22 Abs. 2 BSHG steht in keinem Zusammenhang mit den Aufwendungen des Beziehers für Unterkunft und Heizung. Die Regelsätze lassen damit auch keinen Raum, Unterschiede der ortsüblichen Miethöhen im Regelsatzgebiet zu berücksichtigen. Tatsächlich liegt der doppelte Betrag des Regelsatzes vielfach unter dem konkreten Sozialhilfeanspruch." Diese Grundsätze bestätigt der BGH erneut: Der unpfändbare notwendige Unterhalt des Schuldners im Sinne des § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO entspricht grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt i.S.d. 3. und 11. Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch.
Rz. 179
In der Praxis haben sich hierzu bestimmte Richtsätze entwickelt, die je nach der örtlichen Lage der Amtsgerichte verschieden sind. Die Freibeträge für den Schuldner sind regelmäßig niedriger als der Grundfreibetrag nach der amtlichen Tabelle zu § 850c ZPO (jetzt ab 1.7.2022: 1.330,16 EUR). Während in ländlichen Gebieten ein Freibetrag zwischen 800,00 EUR bis 1.000,00 EUR angemessen ist, ist in Großstädten aufgrund der höheren Lebenshaltungskosten, insbes. der Mieten, durchaus ein Freibetrag von 1.000,00 EUR oder mehr als angemessen anzusehen (z.B. 1.050,00 EUR).
Rz. 180
Arbeitslosengeld II-Leistungen (jetzt Bürgergeld), die der Schuldner erhält, sind bei einer erweiterten Pfändung (§ 850d ZPO) von Arbeitseinkommen unbeschadet des sich aus § 42 Abs. 4 S. 1 SGB II ergebenden Pfändungsschutzes im Sinne einer Minderung des Pfändungsfreibetrags gem. § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO zu berücksichtigen, sofern und soweit bei einer derartigen Berücksichtigung das sozialhilferechtliche Existenzminimum des Schuldners gesichert bleibt. Der BGH betont, dass nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO dem Schuldner so viel zu belassen ist, als er für seinen notwendigen Unterhalt bedarf. Dementsprechend mindern andere Einnahmen und geldwerte Vorteile, soweit sie dem Schuldner tatsächlich zur Verfügung stehen, grundsätzlich den Freibetrag, der ihm aus seinem gepfändeten Arb...