Rz. 308
Der außergerichtlichen Beratung sind alle Mandate zuzuordnen, bei denen ein Rechtsanwalt beauftragt wird, dem Auftraggeber zu empfehlen, was aus rechtlicher Sicht zu tun bzw. zu unterlassen ist. In der Praxis lässt sich die beratende Tätigkeit regelmäßig nicht genau von Aufträgen abgrenzen, die im Zusammenhang mit der Führung eines Prozesses oder der Gestaltung eines Vertrages stehen, an denen der Auftraggeber beteiligt ist. Die Beratung steht etwa im Vordergrund, wenn ein Rechtsanwalt beauftragt ist, sich zu den Erfolgsaussichten einer Klage bzw. eines Rechtsmittels oder einer hiergegen gerichteten Verteidigung zu äußern. Auch die Prüfung eines Vertrages, eines Testaments, Allgemeiner Geschäftsbedingungen oder die Anfertigung eines Rechtsgutachtens zu einer konkreten Rechtsfrage sind als Beratung anzusehen.
a) Einordnung der Beratungspflicht
Rz. 309
Bei der Beratung des Auftraggebers handelt es sich um eine vertraglich geschuldete Primärpflicht, während Aufklärung und Belehrung Nebenpflichten im Rahmen eines weitergehenden Auftrags oder beschränkten Auftrags sein können. Belehrung und Aufklärung sollen die rechtliche Tragweite einer konkreten Maßnahme aufzeigen und können hinter der Beratung zurückbleiben, mit ihr übereinstimmen oder über sie hinausgehen. Die Beratung kann sich auf den einzuschlagenden Weg beschränken, auf die Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses; sie kann sich über die rechtliche Gestaltung hinaus auf andere rechtliche Fragen erstrecken. Im Ergebnis gehen Beratung einerseits sowie Belehrung und Aufklärung andererseits vielfach ineinander über und sind kaum abgrenzbar.
b) Inhalt der allgemeinen Beratungspflicht
Rz. 310
Auch im Rahmen eines außergerichtlichen Beratungsmandats ist der Rechtsanwalt verpflichtet, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, wie er seine Interessen in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zur Geltung bringen will. Der um Rat ersuchte Rechtsanwalt ist seinem Auftraggeber zu einer umfassenden und erschöpfenden Belehrung verpflichtet, sofern dieser nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf (vgl. Rdn 5).
Ob der Rechtsanwalt seine hierbei bestehenden Pflichten verletzt, bemisst sich nach seiner abschließenden Beratung. Erklärt er, vorerst nur eine vorläufige Einschätzung abgeben zu können und die Sache erst näher prüfen zu müssen, können aus der vorläufigen Einschätzung noch keine Pflichtverletzungen abgeleitet werden. Deshalb können auch Vorarbeiten eines Anwalts, welche noch zu keinem Arbeitsergebnis geführt haben, das an den Mandanten oder einen Dritten herausgegeben werden sollte, keine Pflichtwidrigkeit begründen, selbst wenn sie Fehler aufweisen.
Rz. 311
Erhält ein Rechtsanwalt den Auftrag, ein von seinem Mandanten erstrebtes Ziel zu erreichen, muss er prüfen, ob der ihm unterbreitete Sachverhalt geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen (zur Pflicht, den Sachverhalt zu klären, siehe Rdn 34–51). Dem Mandanten sind diejenigen Schritte zu empfehlen, die zu dem erstrebten Ziel führen können. Gibt es nur einen Weg, das angestrebte Ziel zu erreichen, muss der Anwalt hierauf hinweisen. Der Rechtsanwalt muss den Auftraggeber vor Nachteilen bewahren, die voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat der Rechtsanwalt dem Mandanten den sichersten Weg vorzuschlagen (vgl. Rdn 114–128) und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann. Zweifel und Bedenken, zu denen die Sach- und Rechtslage Anlass gibt, muss der Rechtsanwalt darlegen und mit dem Auftraggeber erörtern.
Rz. 312
Der Rechtsanwalt muss den Auftraggeber nicht nur über das Vorhandensein, sondern auch über das ungefähre, in etwa abschätzbare Ausmaß des Risikos unterrichten, weil der Mandant i.d.R. nur aufgrund einer Einschätzung auch des Risikoumfangs über sein weiteres Vorgehen entscheiden kann. Eine solche Belehrung kann allenfalls dann entbehrlich sein, wenn der Rechtsanwalt sicher erkennt, dass der Mandant die Risiken des Geschäfts oder der beabsichtigten rechtlichen Gestaltung kennt und er diese auch bei einer Belehrung auf sich nehmen würde. So darf der Rechtsanwalt dem Mandanten nicht raten, eine Zulassung als Kassenarzt wegen taktischer Vorteile in einem Strafverfahren zurückzugeben, wenn er den Mandanten nicht gleichzeitig da...