Rz. 258
Der Rechtsanwalt hat den Beginn der Rechtsmittelfrist festzustellen und den Fristablauf zu berechnen. Im Zusammenhang mit der Beweissicherungspflicht (vgl. Rdn 153–158) hat derjenige Rechtsanwalt, der Zustellungen eines Gerichts, einer Behörde oder der Gegenseite entgegennimmt, die an ihn in seiner Eigenschaft als Parteivertreter erfolgen und eine Frist auslösen, Maßnahmen zu treffen, die es ihm erlauben, zu dem Tag des Zugangs substanziiert vorzutragen. Auch muss über ein Gespräch, das für den Fortgang der Angelegenheit bedeutsam ist, etwa mit dem Vorsitzenden des Prozessgerichts wegen einer Fristverlängerung, ein Vermerk gefertigt und zu den Handakten genommen werden.
Rz. 259
Sodann hat der Rechtsanwalt dem Auftraggeber Beginn und Ablauf der Rechtsmittelfrist mitzuteilen. Falls ein Rechtsmittel ausschließlich von einem am Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt fristwahrend eingelegt werden kann, ist der Mandant auch hierüber aufzuklären. All diese Pflichten bestehen noch aufgrund des ursprünglichen Prozessauftrags. Die Rechtsmittelfrist beginnt noch nicht, wenn das Urteil lediglich im Entwurf zugestellt wird. Maßgeblich für den Beginn der Rechtsmittelfrist ist, sofern für den Beginn der Rechtsmittelfrist die Verkündung maßgebend ist (vgl. §§ 517, 544, 548 ZPO), allein das Verkündungsprotokoll. Ist in der mündlichen Verhandlung ein Verkündungstermin bestimmt, danach dem Anwalt aber kein Urteil zugestellt worden, und bleibt offen, ob und welche Entscheidung verkündet worden ist, muss der Anwalt sich innerhalb der sechsmonatigen Rechtsmittelhöchstfrist seit der Verkündung (§§ 517, 548 ZPO) gegen ein Urteil Gewissheit verschaffen. Er darf sich nicht mit seinen vom Gericht nicht beantworteten Anfragen zufriedengeben, sondern muss nötigenfalls Akteneinsicht nehmen oder letztlich gar vorsorglich innerhalb laufender Frist Rechtsmittel gegen eine unbekannte Entscheidung einlegen.
Rz. 260
Auch nach der Niederlegung des Mandats bleibt der Rechtsanwalt verpflichtet, seine frühere Partei über eine an ihn erfolgte Zustellung unverzüglich zu unterrichten. Darauf, dass der frühere Prozessbevollmächtigte die nachwirkende Pflicht ordnungsgemäß erfüllt, darf sich die Partei verlassen. Solange der frühere Mandant keine Zustellungsnachricht von dem Rechtsanwalt erhalten hat, brauchte er nicht damit zu rechnen, dass der Rechtsanwalt die Zustellung entgegengenommen und die Rechtsbehelfsfrist in Gang gesetzt hat. Jedenfalls wenn er das zugestellte Urteil nicht unverzüglich an den ehemaligen Mandanten weiterleitet, sondern erst mit Verzögerung, muss er auch auf das Zustellungsdatum hinweisen. Man wird dies in jedem Fall zu fordern haben.