Rz. 142
Diese Kritik hat schon einen falschen Ansatz. Indem sie von den in der Rechtsprechung entwickelten abstrakten vertraglichen Grundpflichten des Rechtsanwalts zur Klärung des Sachverhalts, zur Rechtsprüfung, Rechtsberatung und Schadensverhütung (vgl. Rdn 5, 33 ff.) ausgeht, erweckt sie "zu Unrecht den Anschein einer Gleichsetzung – jeder – suboptimalen Anwaltsleistung mit Anwaltshaftpflicht".
Rz. 143
Nicht erläutert wird, dass für jede einzelne Regressforderung zu prüfen ist, ob sich aus diesen Grundpflichten nach dem Inhalt und Umfang des jeweiligen Mandats sowie nach den Umständen des Einzelfalls einzelne Pflichten bzgl. des konkreten Mandatsgegenstandes ergeben haben, die der Rechtsanwalt verletzt haben kann (vgl. Rdn 33 ff. mit Nachweisen der Rechtsprechung).
Rz. 144
Die entsprechende Voraussetzung eines Regressanspruchs führt zu einer Beschränkung der objektiven Pflichtverletzungen und damit zu einer – ersten – Begrenzung der Anwaltshaftung. Maßstab der – aus der Rückschau ("ex post") – im Einzelfall geschuldeten objektiven Pflicht ist nicht ein Idealanwalt, sondern ein gewissenhafter ("Durchschnitts-")Anwalt, der die allgemein anerkannten Erfordernisse der anwaltlichen Berufsausübung unter den konkreten Umständen beachtet (vgl. § 4 Rdn 5 ff.).
Rz. 145
Ein weiteres, allerdings nur in Ausnahmefällen wirkendes Korrektiv ist das subjektive Verschulden, das durch die vertragliche Pflichtverletzung indiziert wird und vom Anwalt auszuräumen ist (vgl. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB; vgl. § 4 Rdn 50 ff.). Für die – im Regressfall regelmäßig in Betracht kommende – Fahrlässigkeit ist kein individueller, sondern ein objektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen (§ 276 Abs. 2 BGB); maßgeblich ist danach diejenige Umsicht und Sorgfalt, die nach der Anschauung besonnener, gewissenhafter und erfahrener Angehöriger des jeweiligen Berufskreises bei der gegebenen Sachlage zu erwarten war. Danach kommt es – vorausschauend ("ex ante") – an auf die übliche, von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt (vgl. § 4 Rdn 5 ff.), nicht auf diejenige eines Idealanwalts.
Rz. 146
Eine weitere Begrenzung der vertraglichen Anwaltshaftung ergibt sich daraus, dass eine Ersatzpflicht wegen einer schuldhaften Pflichtverletzung sich auf den Schaden im Rechtssinne (vgl. § 5 Rdn 85 ff.) beschränkt, der dem Anwalt haftungsrechtlich zuzurechnen ist, insb. in den Schutzbereich der verletzten Pflicht fällt (vgl. § 5 Rdn 40 ff.).
Rz. 147
Die höchste Hürde für einen Regressanspruch ist die Beweislast des Mandanten für alle Anspruchsvoraussetzungen mit Ausnahme des Verschuldens. Dieser hat nicht nur die objektive Pflichtverletzung des Anwalts zu beweisen (vgl. § 4 Rdn 13 ff.), sondern auch den Ursachenzusammenhang zwischen einer solchen Pflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden (vgl. § 5 Rdn 10 ff.). V.a. an diesem Beweis der sog. haftungsausfüllenden Kausalität scheitern in der Praxis zahlreiche Regressforderungen, wenn wegen der Umstände des Einzelfalls kein Anscheinsbeweis zugunsten des Mandanten eingreift und dieser nicht zweifelsfrei beweisen kann, dass er bei pflichtgemäßem Verhalten des Anwalts den geltend gemachten Schaden nicht erlitten hätte. Der – seit 1984 für die Anwaltshaftung zuständige – IX. Zivilsenat des BGH hat es – sogar für grobe anwaltliche Pflichtverletzungen – bis heute abgelehnt, die Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen der Verletzung einer vertraglichen Aufklärungs- und Beratungspflicht einerseits und dem Schaden andererseits – wie dies in anderen Rechtsbereichen geschehen ist – umzukehren und dem Rechtsanwalt aufzubürden (vgl. § 5 Rdn 10 ff.).