Rz. 291
Ein Rechtsanwalt hat vor Abschluss eines Vergleichs alle damit zusammenhängenden Vor- und Nachteile so gewissenhaft zu bedenken, wie es ihm aufgrund seiner Informationen, Kenntnisse und Erfahrungen vorausschauend möglich ist. Er hat den Mandanten in derartigen Fällen im Einzelnen aufzuklären, mit welchen Problemen und offenen Fragen bei einer möglichen streitigen Auseinandersetzung zu rechnen wäre. Risiken und Chancen müssen zutreffend erläutert werden, damit der Mandant eine Entscheidungsgrundlage hat, wenn er sich überlegt, ob er sich für oder gegen einen bestimmten Vergleich entscheiden soll. Um diese Risiken vernünftig abwägen zu können, benötigt der Mandant außerdem Informationen von seinem Anwalt über die durch den Vergleich entstehenden und alternativ im Prozess voraussichtlich noch entstehenden Kosten. Hinzuweisen ist deshalb auch auf die anfallende Vergleichsgebühr für die beteiligten Anwälte sowie darauf, wenn Kosten des Vergleichs von einer Rechtsschutzversicherung – anders etwa als die Verfahrenskosten – nicht übernommen werden sollten. Jedenfalls wenn der Anwalt auch die Vertretung des Mandanten ggü. dessen Rechtsschutzversicherung übernommen und etwa die Deckungszusage eingeholt hat, muss er beim Vergleichsabschluss die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Rechtsschutzversicherung beachten. Diese sehen in § 5 Abs. 3b ARB 2000 (vgl. jetzt Nr. 3.3.2 ARB 2012) vor, dass Kosten nicht übernommen werden, die im Zusammenhang mit einer einverständlichen Erledigung entstanden sind, soweit sie nicht dem Verhältnis des vom Versicherungsnehmer angestrebten Ergebnisses zum erzielten Ergebnis entsprechen, es sei denn, dass eine hiervon abweichende Kostenverteilung gesetzlich vorgeschrieben ist. Ein Vergleichsabschluss mit Kostenverteilung zulasten der Rechtsschutzversicherung ist danach nicht zulasten der Versicherung möglich. Es muss die Zustimmung der Versicherung eingeholt werden. Entspricht eine Kostenregelung nicht dieser Vorgabe und stimmt die Versicherung nicht zu, muss der Mandant entsprechend belehrt und seine Entscheidung eingeholt werden. Jedenfalls wenn der Vergleich an den Kosten zu scheitern droht, hat der Anwalt auch die Möglichkeit eines kombinierten Verzichts- und Anerkenntnisurteils zu bedenken und darüber zu belehren, jedenfalls dann, wenn der Mandant einen Vergleich aus Kostengründen ausgeschlossen hat, weil ihm dann auch keine Vergleichsgebühren entgehen.
Können sich die Parteien zwar in der Hauptsache, nicht aber wegen der Kosten einigen, und ist auch die in § 98 ZPO vorgesehene Kostenaufhebung nicht gewollt, kann die Entscheidung dem Gericht nach Maßgabe des § 91a ZPO überlassen werden. Auf diese in der Praxis häufig genutzte Möglichkeit ist der Mandant hinzuweisen, wenn andernfalls der Vergleichsabschluss zu scheitern droht.
Wegen der Schwierigkeiten und Ungewissheiten bei der Abwägung der Vor- und Nachteile eines Vergleichs billigt die Rechtsprechung dem Rechtsanwalt, der den Auftraggeber bei Vergleichsverhandlungen berät oder vertritt, einen weiten Ermessensspielraum zu. Ansonsten ginge der Rechtsanwalt ein für ihn nicht mehr tragbares Risiko ein. Innerhalb dieses Spielraums hat der Rechtsanwalt eine gewissenhafte Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine gütliche Regelung naturgemäß voraussetzt, dass nicht nur die Interessen des Mandanten, sondern auch die des Gegners hinreichend berücksichtigt werden, also von beiden Parteien ein Nachgeben in den zuvor eingenommenen Positionen erwartet wird.
Für den Anwalt besteht kein Ermessensspielraum, wenn der Vergleich für seine Partei eine unangemessene Benachteiligung darstellt; er hat dann vom Vergleich abzuraten, insb. wenn begründete Aussicht besteht, im Fall einer streitigen Entscheidung ein wesentlich günstigeres Ergebnis zu erzielen. Das BVerfG hat diesen Aspekt insb. im Familienrecht unter besonderer Berücksichtigung des Grundrechtsschutzes der Familie entwickelt. Dieser Grundrechtsschutz setzt der Privatautonomie dort Grenzen, wo der Vertrag eine einseitige Dominanz eines Ehepartners widerspiegelt. Die Dispositionsfreiheit kann auch noch für andere, im öffentlichen Interesse geschaffenen Regelungen fehlen, z.B. für Verfügungen über den Versorgungsausgleich, bei denen mehr Anwartschaften übertragen werden, als gesetzlich vorgesehen.
Rz. 292
Ein Rechtsanwalt darf seinem Mandanten nicht zum Abschluss eines Vergleichs raten, der von Gesetzes wegen nichtige Verpflichtungen enthält, etwa gem. § 2302 BGB zur Errichtung einer Verfügung von Todes wegen. Zumindest müsste er den Mandanten zuvor über diesen Umstand belehren und über die Gefahr einer Gesamtnichtigkeit der Vereinbarung nach § 139 BGB. Entscheidet sich der Mandant in Kenntnis aller Umstände sodann gleichwohl für den Abschluss eines solchen Vergleichs, etwa weil er meint, im Familienkreis gleichwohl auf dessen Erfüllung vertrauen zu können, handelt der Rechtsanwalt auch nicht pfli...