Rz. 35
Der Rechtsanwalt hat zunächst zu klären, welches Ziel der Auftraggeber in seiner Rechtsangelegenheit verfolgt, die Gegenstand des Anwaltsvertrages sein soll. Ist das Begehren unklar, so hat der Rechtsanwalt nachzufragen.[220]
Die Haftpflichtpraxis zeigt, dass es bereits bei dieser ersten und wichtigsten Frage zu Missverständnissen zwischen Mandant und Anwalt kommen kann, insb. deswegen, weil der i.d.R. rechtsunkundige Mandant keine klare und vollständige Vorstellung von seinen rechtlichen Möglichkeiten hat. Im Regressprozess macht der Mandant etwa geltend, er habe nach einem Betriebsübergang den neuen Arbeitgeber, nicht aber – wie geschehen – den früheren Arbeitgeber in Anspruch nehmen wollen, oder er habe eine Kündigungsschutzklage erheben, nicht aber – wie geschehen – nur eine höhere Abfindung aus einem Sozialplan anstreben wollen.
Rz. 36
Es ist Sache des Rechtsanwalts, dem Mandanten bei der Festlegung des Ziels des Anwaltsvertrages zu helfen. Dafür hat er zu prüfen, ob der ihm vorgetragene Sachverhalt den vom Mandanten erstrebten Rechtserfolg überhaupt zulässt.[221] Ist dies offensichtlich nicht der Fall, so muss der Anwalt den Mandanten sogleich darüber aufklären.[222] Hängt der Erfolg von Erklärungen des Mandanten (z.B. Mahnung, Kündigung, Anfechtung, Fristsetzung) ab, so hat der Rechtsanwalt auf die rechtzeitige Abgabe hinzuwirken.[223]
Denkbar sind aber auch Fälle, in denen der Mandant den Rechtsanwalt über seine Ziele bewusst im Unklaren lässt. So kann das Ziel des Gläubigers in einem Zwangsvollstreckungsverfahren in ein Grundstück nicht die Wahrung seiner bestehenden Rechte, sondern allein der günstige Erwerb des Grundstücks sein.[224] Kennt der Anwalt das wahre Ziel nicht und kann er es nicht kennen, braucht er es bei der Beratung auch nicht zu berücksichtigen.
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