Rz. 361
Die Verschwiegenheitspflicht gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Gem. § 2 Abs. 3 BORA ist ein Rechtsanwalt nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit die Berufsordnung oder andere Rechtsvorschriften Ausnahmen zulassen oder die Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandatsverhältnis oder die Verteidigung des Rechtsanwalts in eigener Sache die Offenbarung erfordern. Gesetztliche Entbindungen von der Verschwiegenheitspflicht ergeben sich etwa aus den Vorschriften über den Wegfall des Zeugnisverweigerungsrechts (z.B. § 385 ZPO, § 53 Abs. 2 StPO, § 102 AO) und der Pflicht zur Anzeige schwerer Straftaten (§ 138 StGB). Auch für die zivilrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts aus dem Anwaltsvertrag sind entsprechende Ausnahmen zu beachten.
Rz. 362
Insb. die Einwilligung des Geheimnisträgers, i.d.R. die des Mandanten, kann den Rechtsanwalt von einer Verschwiegenheitspflicht aus dem Anwaltsvertrag, aus § 43a Abs. 2 BRAO oder § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB befreien. Ist der Mandant verstorben, ist im Einzelfall zu prüfen, ob dessen Wille sich auch darauf erstreckt hat, dass der Gegenstand des Auftrags ggü. den Erben und nächsten Angehörigen geheim gehalten werden soll oder nicht. Dies kann und muss der Rechtsanwalt nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Bei höchstpersönlicher Natur geht die Befugnis, den Rechtsanwalt von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien, nicht auf die Erben des Auftraggebers über.
Ist über das Vermögen des Auftraggebers das Insolvenzverfahren eröffnet, geht die Befugnis zur Entbindung von der Schweigepflicht gem. § 80 InsO grds. auf den Insolvenzverwalter über, nicht aber auf den Sachwalter bei Eigenverwaltung und nicht in höchstpersönlichen, für das Insolvenzverfahren bedeutungslosen Angelegenheiten.
Bei Verkauf der Anwalts- oder Steuerberaterkanzlei dürfen die Daten der Mandanten ohne deren Zustimmung grds. nicht an Kanzleifremde offenbart werden, sei es an einen Sachverständigen, der den Wert der Kanzlei feststellen soll, sei es an Kaufinteressenten.
Hat der Steuerberater die Lohnbuchhaltung übernommen, ist er nicht berechtigt, Arbeitnehmern Auskunft über die Höhe des Lohns anderer Arbeitnehmer des Unternehmens zu geben, auch dann nicht, wenn damit eine Diskriminierung von Frauen aufgedeckt werden soll. Auskunft ist vom Arbeitgeber zu verlangen.
Rz. 363
Auch ohne das Einverständnis und sogar gegen den erklärten Willen des Auftraggebers kann ein Rechtsanwalt berechtigt sein, ihm in Ausübung des Berufs anvertraute Tatsachen zu offenbaren. Diese Befugnis folgt im Zivilrecht aus dem allgemeinen Rechtsprinzip der Abwägung widerstreitender Rechtsgüter und Pflichten. So gebührt den berechtigten Interessen des Rechtsanwalts, seinen Honoraranspruch durchzusetzen oder sich gegen eine Inanspruchnahme des Auftraggebers oder in einem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren zu verteidigen, grds. Vorrang vor dem Schweigegebot, wenn der Rechtsanwalt andernfalls seine berechtigten Interessen nicht sachgerecht durchsetzen kann. Das schließt auch ein, bei Inanspruchnahme durch den Mandanten die entsprechenden Tatsachen der eigenen Haftpflicht- oder Rechtsschutzversicherung bei einem Antrag auf Deckungsschutz mitzuteilen. In diesem Grundsatz findet das Offenbarungsrecht des Anwalts aber auch seine Grenzen. Er darf nicht mehr offenbaren, als zur Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen erforderlich ist, wobei die Grenzziehung nicht zu kleinlich zu erfolgen hat.
Wird über das Vermögen des Anwalts oder Steuerberaters das Insolvenzverfahren eröffnet, geht das Dispositionsrecht über das Geheimnis auf den Insolvenzverwalter über. Der Anwalt ist verpflichtet, dem Insolvenzverwalter die erforderlichen Auskünfte zu erteilen; die Schweigepflicht – und damit der Schutz des Mandanten – tritt hier ggü. den vorrangigen Belangen der Insolvenzgläubiger zurück, soweit die Informationen zur Durchsetzung der Vergütungsansprüche des Anwalts als Insolvenzschuldner erforderlich sind.
Im Strafrecht kann eine Offenbarung geheimhaltungspflichtiger Tatsachen nach § 34 StGB wegen Notstands oder gem. § 193 StGB wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt sein. Wenn der Rechtsanwalt im Auftrag seines Mandanten mit einem Dritten verhandelt, besteht die Verschwiegenheitspflicht nach einem Urteil des Reichsgerichts nicht in Bezug auf solche Umstände, die der Auftraggeber dem Vertragsgegner offenbaren muss; bestehe der Auftraggeber auf Verschwiegenheit, müsse der Rechtsanwalt die Übernahme oder Fortführung des Auftrags ablehnen. Weitere Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht können sich aus gesetzlichen Vorschriften ergeben, etwa im Rahmen einer Drittschuldnererklärung gem. § 840 ZPO, einer eidesstattlichen Versicherung und der Abgabe eines Vermögensverzeichnisses nach § 807 ZPO oder einer Pflicht zur Anzeige schwerer Straftaten nach §§ 138, 139 Abs. 3 Satz 2 StGB.
Rz. 364
Das Geldwäschegesetz (GwG) vom 23.6.2017 verpflichtet Rechtsanw...