Rz. 310
Auch im Rahmen eines außergerichtlichen Beratungsmandats ist der Rechtsanwalt verpflichtet, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, wie er seine Interessen in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zur Geltung bringen will. Der um Rat ersuchte Rechtsanwalt ist seinem Auftraggeber zu einer umfassenden und erschöpfenden Belehrung verpflichtet, sofern dieser nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf (vgl. Rdn 5).
Ob der Rechtsanwalt seine hierbei bestehenden Pflichten verletzt, bemisst sich nach seiner abschließenden Beratung. Erklärt er, vorerst nur eine vorläufige Einschätzung abgeben zu können und die Sache erst näher prüfen zu müssen, können aus der vorläufigen Einschätzung noch keine Pflichtverletzungen abgeleitet werden. Deshalb können auch Vorarbeiten eines Anwalts, welche noch zu keinem Arbeitsergebnis geführt haben, das an den Mandanten oder einen Dritten herausgegeben werden sollte, keine Pflichtwidrigkeit begründen, selbst wenn sie Fehler aufweisen.
Rz. 311
Erhält ein Rechtsanwalt den Auftrag, ein von seinem Mandanten erstrebtes Ziel zu erreichen, muss er prüfen, ob der ihm unterbreitete Sachverhalt geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen (zur Pflicht, den Sachverhalt zu klären, siehe Rdn 34–51). Dem Mandanten sind diejenigen Schritte zu empfehlen, die zu dem erstrebten Ziel führen können. Gibt es nur einen Weg, das angestrebte Ziel zu erreichen, muss der Anwalt hierauf hinweisen. Der Rechtsanwalt muss den Auftraggeber vor Nachteilen bewahren, die voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat der Rechtsanwalt dem Mandanten den sichersten Weg vorzuschlagen (vgl. Rdn 114–128) und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann. Zweifel und Bedenken, zu denen die Sach- und Rechtslage Anlass gibt, muss der Rechtsanwalt darlegen und mit dem Auftraggeber erörtern.
Rz. 312
Der Rechtsanwalt muss den Auftraggeber nicht nur über das Vorhandensein, sondern auch über das ungefähre, in etwa abschätzbare Ausmaß des Risikos unterrichten, weil der Mandant i.d.R. nur aufgrund einer Einschätzung auch des Risikoumfangs über sein weiteres Vorgehen entscheiden kann. Eine solche Belehrung kann allenfalls dann entbehrlich sein, wenn der Rechtsanwalt sicher erkennt, dass der Mandant die Risiken des Geschäfts oder der beabsichtigten rechtlichen Gestaltung kennt und er diese auch bei einer Belehrung auf sich nehmen würde. So darf der Rechtsanwalt dem Mandanten nicht raten, eine Zulassung als Kassenarzt wegen taktischer Vorteile in einem Strafverfahren zurückzugeben, wenn er den Mandanten nicht gleichzeitig darüber aufklärt, dass es ihm aufgrund seiner wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse praktisch unmöglich sein wird, die Zulassung später wieder zu erlangen. Weitere Schritte sind davon abhängig, wie sich der Mandant nach der Beratung entscheidet. Allerdings wird von einem Rechtsanwalt nur ein im Rahmen eines geordneten Kanzleibetriebs regelmäßig zumutbares Verhalten erwartet. Besondere Nachdrücklichkeit oder Eindringlichkeit der Beratung kann nicht gefordert werden. Sachgerechte Unterscheidungen für den Grad des Einwirkens auf den Mandanten, den erteilten Rat anzunehmen und ihm auch zu folgen, sind nicht möglich. Der Anwalt muss sich aber versichern, dass der Mandant die Beratung verstanden hat. Bei neu entstehenden Unklarheiten kann der Anwalt verpflichtet sein, den Mandanten erneut auf bestehende Probleme, etwa eine drohende Verjährung, hinzuweisen.
Rz. 313
Der Inhalt und damit auch der Schutzzweck einer Beratung hängen von den Umständen des einzelnen Falls und dem Inhalt des konkreten Beratungsauftrags ab. Sie ergeben sich aus dem für den Rechtsanwalt erkennbaren Ziel, das der Mandant mit der Beauftragung verfolgt. Der Berater muss seinem Mandanten allerdings Gestaltungsmöglichkeiten, die bestimmte Vorteile bieten, dann nicht darlegen, wenn er sicher annehmen darf, dass eine solche Lösung wegen ihrer anderweitigen Nachteile verworfen wird. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass trotz bekannter entgegenstehender Interessen das letzte Wort häufig noch nicht gesprochen ist, weil nach der Lebenserfahrung damit zu rechnen ist, dass jedes Interesse eines Beteiligten einem stärkeren Interesse weichen kann und dass die notwendige Abwägung Sache des Mandanten und ggf. auch der nach dem Beratungsvertrag geschützten Dritten ist. Gegenstand des Vertrages muss auch nicht etwa nur der rechtliche oder finanzielle Vorteil des Mandanten sein. Dieser kann vielmehr den Zweck des Beratungsauftrags auch insoweit (erforderlichenfalls nach Beratung) selbstständig bestimmen, etwa indem er die Wahrung (auch) der Interessen von Familienangehörigen oder Dritten zum Beratungszweck macht.
Der Anwalt muss sich über die Sach- und Rechtslage klar werden und diese dem Mandanten verständlich darstellen. ...