Rz. 463
Ist die Vergütungsvereinbarung formgerecht (vgl. Rdn 448 ff.), so kann sie doch gem. § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein. Die unterlassene Aufklärung eines Pflichtverteidigers bei Abschluss einer Vergütungsvereinbarung darüber, dass er als Pflichtverteidiger auch ohne Vereinbarung einer Honorarabrede zur weiteren Verteidigung verpflichtet ist, vermag allein eine Sittenwidrigkeit nicht zu begründen. Sittenwidrigkeit ist insb. dann anzunehmen, wenn zwischen der anwaltlichen Leistung und der vereinbarten Vergütung ein auffälliges Missverhältnis besteht und der Anwalt die Unterlegenheit des Mandanten bewusst zu dessen Nachteil ausnutzt. Ist eine vereinbarte Anwaltsvergütung sittenwidrig, so ist die Honorarabrede nichtig; es besteht nur ein Anspruch auf die gesetzlichen Gebühren.
Rz. 464
Für die Beurteilung, ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar besteht, sind außer den gesetzlichen Gebühren v.a. der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand, insb. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, maßgeblich. Daneben können auch die Bedeutung der Sache für den Auftraggeber sowie dessen Einkommens- und Vermögenslage bedeutsam sein. Bei Vorhandensein einer Gebührenordnung steht nicht nur die gesetzliche Gebühr in Einklang mit den Sitten, weil sich bei einer solchen Begrenzung in umfangreichen und schwierigen Sachen vielfach kein geeigneter Anwalt zur Mandatsübernahme bereitfinden würde. Für die Frage eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sind also nicht ohne weiteres die gesetzlichen Gebühren gegenüberzustellen, wenn sie den mit der anwaltlichen Tätigkeit verbundenen Aufwand nicht angemessen abdecken. Mithin kann eine anwaltliche Vergütungsvereinbarung das Sittengesetz nicht verletzen, wenn sie zu einem aufwandsangemessenen Honorar führt. Das mehrfache Überschreiten der gesetzlichen Gebühren gestattet ohne Berücksichtigung des tatsächlichen Aufwands nicht schon für sich genommen die Schlussfolgerung auf ein Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Gerade bei Sachen mit niedrigem oder mittlerem Streitwert kann auch ein Honorar, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt, angemessen sein. Dies gilt erst recht, wenn sich die Höhe der Gebühren nach einem Gegenstandswert richtet, der unabhängig von der Schwierigkeit der Sache und dem erforderlichen Aufwand ist, weil das Gesetz einen Fest- oder Regelbetrag, wie etwa 3.000 EUR bei § 45 Abs. 1 FamGKG, vorsieht. Umgekehrt kann bei hohen Streitwerten u.U. schon aus der Überschreitung der gesetzlichen Gebühren auf ein auffälliges oder besonders grobes Missverhältnis geschlossen werden, wenn die Tätigkeit bereits durch die gesetzlichen Gebühren angemessen abgegolten wird.
Der Mandant, der geltend macht, die mit dem Anwalt getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig und daher nichtig, und sich hierzu auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar beruft, muss also nicht nur dartun, dass die vereinbarte Vergütung die gesetzlichen Gebühren überschreitet, sondern zudem darlegen und beweisen, dass nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit objektiv nur eine geringere als die vereinbarte Vergütung marktangemessen ist. Erst wenn auf dieser Grundlage feststeht, dass die versprochene Vergütung das Honorar deutlich überschreitet, welches für die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach dem konkreten Mandat im Gegenzug zu leistende anwaltliche Tätigkeit objektiv angemessen ist, liegt ein auffälliges Missverhältnis vor. Übersteigt sie das angemessene, adäquate Honorar in krasser Weise, liegt ein besonders grobes Missverhältnis vor, aus dem auf die verwerfliche Gesinnung des Rechtsanwalts geschlossen werden kann.
Für die Frage, welche Vergütung im konkreten Fall marktangemessen ist, hat das Gericht alle für und gegen ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar sprechenden Indizien im jeweiligen Einzelfall zu würdigen. Welches Gewicht im Rahmen der Würdigung der Indizien dabei dem Verhältnis zwischen gesetzlichen Gebühren und vereinbarten Gebühren zukommt, hängt davon ab, inwieweit bereits im Einzelfall aufgrund der Höhe der gesetzlichen Gebühren eine aufwandsangemessene, adäquate Vergütung für das konkrete Mandat erfolgt. Haben die Parteien ein Pauschalhonorar vereinbart, ist zudem das Risiko zu berücksichtigen, ob der sich nach den versprochenen anwaltlichen Leistungen voraussichtlich unter Abwägung der mit der Pauschalierung verbundenen Risiken ergebende hypothetische Stundensatz marktangemessen und üblich ist.
I.R.d. Anwendung des § 138 BGB ist ein nach § 3a Abs. 2 RVG eingeholtes Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer mit zu berücksichtigen.
Die Stundensatzvereinbarung eines Rechtsanwal...