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In engem Zusammenhang mit der Pflicht, ein Rechtsmittel fristwahrend einzulegen und zu begründen, steht das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 bis 238 ZPO). Wenn der Auftraggeber ohne sein Verschulden verhindert ist, eine Notfrist (§ 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO), eine gleichgestellte Frist zur Begründung eines Rechtsmittels oder die Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 ZPO) einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 233 ZPO). Die wichtigsten Anwendungsfälle sind die Versäumung der Frist zur Einlegung oder Begründung der Berufung (§§ 517, 520 Abs. 2 ZPO) und der Revision (§§ 548, 551 Abs. 2 ZPO) sowie zur Einlegung eines Einspruchs (§ 339 Abs. 1 ZPO) oder einer sofortigen Beschwerde (§ 569 Abs. 1 ZPO) oder Rechtsbeschwerde (§ 575 Abs. 1 ZPO).
Ein Rechtsanwalt handelt pflichtwidrig, wenn durch sein Verschulden, das dem Mandanten zugerechnet wird (§ 85 Abs. 2 ZPO), eine von ihm zu überwachende prozessuale Notfrist oder gleichgestellte Frist nicht eingehalten wird, sodass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann. Dies gilt auch für die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Nach den zur anwaltlichen Fristenkontrolle entwickelten Grundsätzen hat der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden. Er hat selbstständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und im Fristenkalender eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insb. zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Denn die sorgfältige Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung durch den Rechtsanwalt schließt stets auch die selbstständige Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit mit ein. Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung einer Rechtsmittelschrift vorgelegt werden, umfasst stets die Prüfung, ob die Frist zutreffend notiert ist.
Ein Rechtsanwalt, der eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpft, hat wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Der erhöhte Sorgfaltsmaßstab führt aber nicht dazu, dass ein Rechtsanwalt technische Geräte, etwa Faxgeräte, stets auf ihre Funktionsfähigkeit hin überprüfen müsste, ohne hierfür einen konkreten Anlass zu haben.
Pflichtverletzungen des Rechtsanwalts kommen insb. bei der Berechnung und Kontrolle dieser Fristen sowie bei der Einleitung sachgerechter Maßnahmen zu ihrer Wahrung vor. Die Rechtsprechung des BGH zu dieser Problematik ist mittlerweile äußerst umfangreich und kann hier nicht dargestellt werden. Auf die Kommentierungen insb. zu §§ 233 ff. ZPO wird verwiesen.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Deshalb ist ein Rechtsanwalt, der regelmäßig in besonderem Maße eine hinreichend sichere Ausgangskontrolle gewährleisten muss und diese Verpflichtung im konkreten Fall erfüllt hat, grds. nicht gehalten, den Eingang seiner Schriftsätze bei Gericht zu überwachen. Liegt jedoch ein konkreter Anlass vor, kann eine Nachfragepflicht begründet sein. Ein solcher Anlass ist zwar – um die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten nicht zu überspannen und den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren – regelmäßig noch nicht allein aus der Tatsache abzuleiten, dass vor Fristablauf keine entsprechende Nachricht des Gerichts eingegangen ist. Ergibt sich jedoch aus einer Mitteilung des Gerichts unzweifelhaft, dass etwas fehlgelaufen ist, kann dies eine solche Nachforschungspflicht des Rechtsanwalts auslösen. Einer solchen gerichtlichen Mitteilung kann ein deutlicher Hinweis der anwaltlich vertretenen Gegenseite gleichstehen, also ebenfalls Erkundigungspflichten des Rechtsanwalts begründen. Grund hierfür ist, dass bei Erhalt einer solchen Mitteilung eines Rechtsanwalts regelmäßig anzunehmen ist, dass diese keinen gegen § 138 Abs. 1 ZPO verstoßenden, bewusst wahrheitswidrigen oder unvollständigen Vortrag enthält. Dann muss er unverzüglich Nachforschungen anstellen und ggf. auch hilfsweise in der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung beantragen.
Wird dem Berufungskläger nach Bewilligung von PKH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt, beginnt die Monatsfrist zur Nachholung der Berufungsbegründung erst mit der Mitteilung der Wiedereinsetzungsentscheidung. Dasselbe gilt für die Revisions- und Nichtzulassungsbeschwerdebegründungsfrist, nicht aber für die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist. Hier läuft ...