Rz. 210
Der Anwalt, der die Beratung einer Partei in einem Zivilprozess übernimmt, ist zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er durch sein Verschulden bewirkt, dass die Partei einen Prozess verliert, den sie bei sachgemäßer Vertretung gewonnen hätte. Er muss sie über die Gesichtspunkte und Umstände, die für ihr ferneres Verhalten in der Angelegenheit entscheidend sein können, eingehend und erschöpfend belehren. Dabei muss der Rechtsanwalt sein Verhalten so einrichten, dass er Schädigungen seines Auftraggebers, deren Möglichkeit auch nur von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden kann, vermeidet. Er ist verpflichtet, den "sichersten" Weg zu gehen, um das von seinem Mandanten erstrebte Ziel zu erreichen. Will er einen weniger sicheren Weg beschreiten, muss er zumindest seinen Auftraggeber zuvor über die insoweit bestehenden Gefahren belehren und ein weiteres Verhalten von dessen Entscheidung abhängig machen. Er hat deshalb, bevor er eine Klage erhebt oder eine vergleichbare Maßnahme einleitet, den Auftraggeber über das Prozessrisiko – und ausnahmsweise auch über die Kosten – aufzuklären (zur Aufklärung des Auftraggebers über das Prozessrisiko und über Kosten siehe Rdn 179–207). Nur dann ist der Mandant in der Lage, sich eigenverantwortlich für oder gegen eine gerichtliche Rechtsverfolgung zu entscheiden. Die Klage selbst muss rechtzeitig (zur Sicherung von Ansprüchen gegen Verjährung und gegen den Ablauf von Ausschlussfristen siehe Rdn 159–178) und wirksam (§ 253 ZPO) erhoben werden. Sie muss gegen den Passivlegitimierten erhoben werde; ist dieser ungewiss, muss die Beweislastverteilung beachtet und dem möglichen anderen Passivlegitimierten der Streit verkündet werden (vgl. Rdn 221). Der Kostenvorschuss muss rechtzeitig eingezahlt werden. Bei einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides muss der Anspruch genau bezeichnet werden. Der Rechtsanwalt verletzt seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag, wenn er eine von vornherein offenkundig aussichtslose Klage bei Gericht einreicht, es sei denn, er hat den Mandanten hierüber ordnungsgemäß aufgeklärt und dieser hat gleichwohl auf einer Klageerhebung bestanden. Der Schaden verwirklicht sich bei einer aussichtslosen Klage spätestens durch deren Erhebung, weil damit ein erster Teil des Schadens in Form der Gerichtskosten entsteht, für die der Kläger als Zweitschuldner haftet. Aber der erste Teilschaden kann auch schon zuvor in Form von Anwaltskosten entstanden sein.
Ist über das Vermögen des Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet, ist die Klage unzulässig, weil der Anspruch nach § 87 InsO nur noch im Insolvenzverfahren durch Anmeldung zur Tabelle verfolgt werden kann. Wenn sie vom Verwalter oder einem Gläubiger bestritten wird, kann Tabellenfeststellungsklage erhoben werden, § 179f InsO. Ein bei Eröffnung (oder Bestellung eines starken vorläufigen Verwalters) bereits anhängiger Rechtsstreit wird unterbrochen, § 240 ZPO. Schon vor Klageerhebung ist deshalb bei Anlass (d.h. bei Anhaltspunkten für ein unmittelbar bevorstehendes, beantragtes oder eröffnetes Insolvenzverfahren) durch Einsicht in die Insolvenzbekanntmachungen (www.insolvenzbekanntmachungen.de) zu prüfen, ob gegen den Beklagten ein Insolvenzverfahren eröffnet oder beantragt worden ist. Für unnötig verursachte Kosten haftet ansonsten der Anwalt.
Die Ausführungen zur Klageerhebung gelten entsprechend für die Verteidigung des Mandanten gegen eine Klage.
Hat der Mandant einen vollstreckbaren Titel gegen den Gläubiger, ist zu prüfen, ob nicht dessen Forderung gegen den Mandanten gepfändet werden kann. Die Pfändung in eigene Schuld ist jedenfalls dann zulässig, wenn sie dazu dient, dem Gläubiger die Verrechnung in den Fällen zu ermöglichen, in denen die allgemeinen Aufrechnungsvoraussetzungen nicht vorliegen oder die Aufrechnung aus prozessualen Gründen unstatthaft ist.
aa) Wille des Auftraggebers
Rz. 211
Bevor ein Rechtsanwalt eine Klage erhebt, hat er sich Klarheit über den Willen seines Auftraggebers zu verschaffen. Weisungen des Mandanten hat er grds. zu beachten (vgl. Rdn 347 ff.). Deshalb empfiehlt es sich, ...