Rz. 242
Die mündliche Verhandlung ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers der eigentliche Kern eines Rechtsstreits (vgl. §§ 128 Abs. 1, 137 ZPO). Sie wird in Anwaltsprozessen (§ 78 ZPO) durch die Schriftsätze der Parteien vorbereitet (§ 129 ZPO). Der Anwalt muss alles tun, um das rechtliche Gehör seiner Partei zu schützen. Er hat deshalb gerade auch hier die Interessen des Mandanten umfassend wahrzunehmen und, soweit eine Bezugnahme auf die Schriftsätze nicht ausreicht, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorzutragen. Insb. hat er erkennbar werdenden Irrtümern des Gerichts entgegenzuwirken und erteilten Hinweisen Rechnung zu tragen. Dies erfordert eine ausreichende Vorbereitung des Termins in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Dem Anwalt muss die Sache präsent sein.
Während der mündlichen Verhandlung kann der Rechtsanwalt zu einer raschen Entscheidung gezwungen sein, insb. dann, wenn er sich mit seinem Mandanten nicht kurzfristig absprechen kann. Ggf. muss er, wenn er auf Hinweise des Gerichts nicht sofort reagieren kann, Schriftsatzfrist beantragen (vgl. Rdn 240, 246, 248 und Rdn 251).
aa) Wahrnehmung des Termins
Rz. 243
Ein Rechtsanwalt verletzt seine Pflichten, wenn er einen Gerichtstermin versäumt, zu dem festgesetzten Termin mit erheblicher Verspätung erscheint und nicht für seine Vertretung gesorgt hat. Dann kann gegen die Partei ein Versäumnisurteil erlassen werden. Je nach dem Grund der Säumnis ist allerdings zu prüfen, ob der Rechtsanwalt auch schuldhaft gehandelt hat. Eine schuldhafte Säumnis liegt auch dann vor, wenn der Prozessbevollmächtigte, der kurzfristig und nicht vorhersehbar infolge Erkrankung an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist, nicht das ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen. Unter Anwendung des Sorgfaltsmaßstabes eines ordentlichen Rechtsanwalts, wie er auch für § 233 ZPO gilt, braucht der Anwalt bspw. aber nicht wegen eines unvorhergesehenen Verkehrshindernisses eine Reservezeit einzuplanen. Er kann für die Anreise grds. jedes beliebige öffentliche Verkehrsmittel wählen; die Reisezeiten müssen jedoch mit der Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts so geplant werden, dass die Ankunft rechtzeitig erfolgt. Er muss, soweit möglich, versuchen, durch geeignete Maßnahmen den Erlass eines Versäumnisurteils zu verhindern, z.B. durch Mitteilung über Handy an das Gericht. Dies hat auch rechtzeitig zu erfolgen. Sollte sich der Anwalt jedoch zu der sog. "Flucht in die Säumnis" entschließen, um durch die Einlegung eines Einspruchs gegen das Versäumnisurteil den Weg für eine Fortsetzung des Verfahrens freizumachen, ist der Anwalt regelmäßig verpflichtet, auch ohne ausdrückliche Weisung des Mandanten Einspruch gegen das Versäumnisurteil einzulegen. Hält er jedoch ausnahmsweise nach eingehender Prüfung der Erfolgsaussichten eine Fortsetzung des Verfahrens für aussichtslos, hat er rechtzeitig vor Fristablauf mit dem Mandanten Rücksprache zu halten und dessen Entscheidung einzuholen.
bb) Säumnis des Prozessgegners
Rz. 244
Es entspricht i.d.R. dem Interesse des Mandanten, den Erlass eines Versäumnisurteils zu beantragen (§§ 330, 331 Abs. 1 ZPO), wenn der Prozessgegner säumig ist, oder, falls dies günstiger ist, eine Entscheidung nach Aktenlage gem. § 331a ZPO und unter den Voraussetzungen des § 345 ZPO ein zweites Versäumnisurteil. Das gilt auch dann, wenn der Gegner anwaltlich vertreten ist, aber dieser Anwalt aus unbekannten Gründen nicht erscheint. Anders als in früheren Zeiten angenommen hindert das anwaltliche Kollegialitätsverhältnis die Antragstellung nicht.
cc) Ergänzender Vortrag des Prozessgegners
Rz. 245
Bei ergänzendem Vorbringen des Prozessgegners kann es geboten sein, Verfahrensrügen geltend zu machen (§ 295 ZPO), Verspätung zu rügen (§ 296 ZPO) oder die Gewährung einer Schriftsatzfrist zu beantragen (§ 283 ZPO).
dd) Hinweise und Anregungen des Gerichts
Rz. 246
Auf einen gerichtlichen Hinweis gem. § 139 ZPO, etwa wegen Bedenken gegen die Schlüssigkeit einer Klage, die Erheblichkeit einer Verteidigung, wegen nicht ausreichender Substanziierung des Vortrags oder wegen fehlender Beweisantritte, war es schon immer geboten, Vertagung zu beantragen (§ 227 ZPO). Erteilt ein Gericht einen Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, darf es nicht entscheiden, ohne zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Kann der Anwalt – ggf. nach einer Unterbrechung der Verhandlung – sich nic...