Rz. 439
Der BGH hat in jüngeren Entscheidungen gebührenrechtliche Grundbegriffe definiert.
Rz. 440
"Angelegenheit" im gebührenrechtlichen Sinne (§§ 4, 7, 15, 16 ff. RVG/§§ 6, 7, 12, 13 BRAGO) ist das gesamte Geschäft eines einheitlichen Lebenssachverhalts, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll; ihr Inhalt bestimmt den Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit.
Rz. 441
Die außergerichtliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts vor einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und diejenige vor dem nachfolgenden Hauptsacheverfahren stellen regelmäßig verschiedene Angelegenheiten dar, deren Wahrnehmung jeweils eine Geschäftsgebühr auslöst.
Rz. 442
Ob "dieselbe Angelegenheit" vorliegt oder mehrere Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne gegeben sind (§§ 7, 15, 16 ff. RVG/§§ 6, 13 BRAGO), hat im Streitfall grds. der Tatrichter mit Rücksicht auf die jeweiligen Lebensverhältnisse im Einzelfall zu entscheiden, soweit eine gesetzliche Regelung fehlt (vgl. §§ 16 ff. RVG).
Dafür ist insb. der Inhalt des Auftrags (§§ 6 bis 19, 15 RVG/§§ 5, 6, 13 BRAGO) maßgeblich. Ein einziger Auftrag kann mehrere Angelegenheiten umfassen. Der Auftrag endet mit der Erledigung der Aufgabe des Rechtsanwalts, also dann, wenn von ihm keine weiteren Handlungen in Erfüllung des Auftrags mehr zu erwarten sind. Dabei ist insb. von Bedeutung, ob der Anwalt selbst seinen Auftrag als erfüllt ansieht oder nicht. Die Inanspruchnahme mehrerer Schädiger kann eine einzige Angelegenheit in diesem Sinne sein. Dies kommt insb. dann in Betracht, wenn den Schädigern eine gleichgerichtete Verletzungshandlung vorzuwerfen ist und demgemäß die erforderlichen Abmahnungen einen identischen oder zumindest weitgehend identischen Inhalt haben. Sofern die Reaktionen der verschiedenen Schädiger auf die gleichgerichteten Abmahnungen nicht einheitlich ausfallen und deshalb eine differenzierte Bearbeitung durch den Rechtsanwalt erfordern, können aus der ursprünglich einheitlichen Angelegenheit mehrere Angelegenheiten entstehen.
Wird ein Rechtsanwalt beauftragt, gegen eine unrichtige Presseberichterstattung vorzugehen, so kann eine Tätigkeit in derselben Angelegenheit auch dann vorliegen, wenn sich die für den Betroffenen ausgesprochenen Abmahnungen sowohl gegen den für das Printprodukt verantwortlichen Verlag und den verantwortlichen Redakteur als auch gegen die für die Verbreitung der Berichterstattung im Internet Verantwortlichen richten.
Beauftragen Gesellschafter eines geschlossenen Immobilienfonds einen Rechtsanwalt, den Initiator gemeinsam zu verklagen, um Schadensersatzansprüche wegen Prospekthaftung geltend zu machen, kann gebührenrechtlich dieselbe Angelegenheit gegeben sein, auch wenn die Klageaufträge einzeln und zeitlich versetzt erteilt werden. Entsprechendes gilt, wenn die Gesellschafter den Anwalt nacheinander beauftragen, gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil Berufung einzulegen.
Die außergerichtliche Regulierung eines Unfallschadens aufgrund eines einheitlichen Auftrags ist gebührenrechtlich auch dann nur eine einzige Angelegenheit, wenn sie sich über mehrere Jahre hinzieht und auch neue Schadensbeträge umfasst.
Der Rechtsanwalt, der in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig wurde – etwa in Schulangelegenheiten eines minderjährigen Kindes für beide Eltern –, erhielt die Mehrvertretungsgebühren des § 6 Abs. 1 Satz 1, 2 BRAGO (vgl. nunmehr § 7 RVG mit Nr. 1008 VV RVG) ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall eine Mehrbelastung tatsächlich eintrat oder typischerweise zu erwarten war und ob das Verfahren kostengünstiger allein im Namen des Kindes, vertreten durch die Eltern, hätte geführt werden können.
Die durch das RVG eingeführte Terminsgebühr soll einen Anreiz für außergerichtliche Einigungen schaffen. Hat der Anwalt bereits einen unbedingten Klageauftrag erhalten, kann deshalb eine Terminsgebühr auch dann entstehen, wenn der Rechtsstreit oder das Verfahren noch nicht anhängig ist. Bespricht der Anwalt des Anspruchsgegners mit dem Anwalt des Anspruchstellers, dem ein Klageauftrag erteilt ist, die Angelegenheit, um diese außergerichtlich zu erledigen, so verdient er damit die Terminsgebühr jedenfalls dann, wenn sein Auftrag die Rechtsverteidigung in einem etwaigen Klageverfahren umfasst.
Rz. 443
Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, v.a. des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Damit eröffnet § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG dem Rechtsanwalt ein Leistungsbestimmungsrecht, seine Vergütung nach Maßgabe des § 315 Abs. 1 BGB festzusetzen. Macht der Rechtsanwalt von seinem Leistungsbestimmungsrecht durch Erklärung ggü. dem Mandanten (§ 315 Abs. 2 BGB) Gebrauch, ist er an die von ihm getroffene Bemessung d...