Rz. 77

Baumängelprozesse sind Sachverständigenprozesse. Nicht umsonst werden Sachverständige in Bauprozessen mitunter als die "heimlichen Richter" bezeichnet. Die Gerichte entscheiden Rechtsstreitigkeiten in der Regel – und oft unkritisch – entsprechend den Feststellungen der Sachverständigen. Der Prozessanwalt kommt daher nicht umhin, sich nicht nur intensiv mit rechtlichen Fragen, sondern auch den Gutachten und dem Verhalten der Sachverständigen im Prozess auseinanderzusetzen. Folgende Aspekte erscheinen dem Verfasser aufgrund seiner praktischen, subjektiven Erfahrung besonders relevant:

 

Rz. 78

Bei der Auswahl des Sachverständigen fragen die Gerichte häufig bei den Parteien Vorschläge für geeignete Sachverständige ab. Das ist sowohl zur Gewährung des rechtlichen Gehörs als auch aufgrund der meist größeren Sachnähe der Parteien sinnvoll, oft aber vergebliche Liebesmüh. Denn in der ohnehin von wechselseitigem Misstrauen geprägten Prozesssituation wird jede Partei oft schon aus Prinzip die von der Gegenseite vorgeschlagenen Sachverständigen ablehnen und entsprechende Gründe suchen.

 

Rz. 79

Oft ist es daher sinnvoller, wenn das Gericht einen spezialisierten Verband oder eine spezialisierte Kammer nach Vorschlägen anfragt. Jedenfalls, wenn gegenüber dem Verband/der Kammer die zu erwartende Aufgabenstellung vorab wenigstens grob skizziert bzw. gegebenenfalls auch mit diesen diskutiert wird, können häufig geeignete Sachverständige gefunden werden; und zwar in vielen Fällen zielgenauer als bei einer mehr oder weniger unreflektierten Auswahl einer Person aus allgemein zugänglichen Sachverständigenlisten. Eine solche Vorgehensweise können die Parteien auch anregen.

 

Rz. 80

Gerade bei Spezialsachverhalten ist es zudem wichtig, dass ein mit der Materie wirklich vertrauter Fachmann die Begutachtung übernimmt. Wenn aus Sicht einer Prozesspartei die Begutachtung spezielle Fachkenntnisse erfordert, sollte der Prozessanwalt – der eine solche Notwendigkeit auch bei seiner Mandantin zu eruieren hat – das begründet gegenüber dem Gericht darlegen und auf Wahl eines entsprechend qualifizierten Sachverständigen dringen.

 

Rz. 81

Die zur Auswahl stehenden Sachverständigen – gleich ob von der Gegenpartei oder dritter Seite vorgeschlagen – sollten durch den Anwalt auf Unparteilichkeit überprüft werden. Dazu gehört in den Zeiten des Internets zumindest eine Recherche mit dem Namen des Sachverständigen sowie der Firma und gegebenenfalls leitenden Angestellten der Gegenpartei, um Querverbindungen festzustellen.

 

Rz. 82

Wenn ein Sachverständiger abgelehnt werden soll, sind die Vorschriften des § 406 ZPO[86] zu beachten. Wichtig ist, dass die Frist des § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO (zwei Wochen ab Zustellung des Benennungsbeschlusses) für einen Ablehnungsantrag beachtet wird. Ergibt sich ein Grund zur Ablehnung des Sachverständigen aus dem Inhalt eines schriftlichen Gutachtens, muss die Ablehnung im Regelfall innerhalb der Stellungnahmefrist zum Gutachten gemäß § 411 Abs. 4 ZPO erfolgen.

 

Rz. 83

Die Qualität der Tätigkeit des Sachverständigen hängt maßgeblich auch von der Leitung der Sachverständigentätigkeit durch das Gericht ab.[87] Diese ist (leider) häufig unzureichend. In diesem Fall ist der Anwalt gehalten, auf eine hinreichende Anleitung des Sachverständigen hinzuwirken. Z.B. ist darauf zu achten, dass dem Sachverständigen keine Beantwortung von Rechtsfragen auferlegt wird: Nicht selten finden sich Beweisbeschlüsse, in denen der Sachverständige sich dazu äußern soll, ob "Mängel vorliegen", eine "Nacherfüllung unzumutbar" sei oder ähnliches. Der Sachverständige kann und soll allein technische Fragen beantworten, die rechtlichen Schlüsse daraus muss das Gericht selbst ziehen.

 

Rz. 84

Eine weitere häufige Ursache für einen unbefriedigenden Verlauf der Erhebung des Sachverständigenbeweises ist, dass dem Sachverständigen die Anknüpfungstatsachen für seine Begutachtung nicht hinreichend klargemacht werden. Der Sachverständige erhält z.B. eine komplette Gerichtsakte verbunden mit einigen Fragestellungen übersandt und soll sich dann die passenden Anknüpfungstatsachen heraussuchen. Besonders dann, wenn der Sachverhalt hoch streitig ist, kommt es vor, dass Sachverständige, die meist auf die Trennung zwischen streitigem und unstreitigem Tatsachenvortrag nicht geschult sind, ihrer Begutachtung bestrittenen Tatsachenvortrag zugrunde legen. Konsequenz können – mitunter sogar berechtigte – Befangenheitsanträge der benachteiligten Partei sein. Auch insoweit sollte der Anwalt den Ablauf der Beweiserhebung genau verfolgen und bei Bedarf intervenieren.

 

Rz. 85

Der Anwalt muss sich schließlich kritisch mit dem Sachverständigengutachten auseinandersetzen. Genauso, wie es gute und schlechte Schriftsätze gibt, gibt es gute und schlechte Sachverständigengutachten. Der Anwalt muss durch eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Sachverständigengutachten sicherstellen, dass die Rechte seiner Mandantin hinreichend gewahrt werden. Hierzu gehört, dass der Anwalt mindestens Folgen...

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