Rz. 136
Bei einem verheirateten oder in einer Lebenspartnerschaft lebenden Schuldner findet bei der Gewahrsamsprüfung die gesetzliche Vermutung des § 739 Abs. 1 ZPO bzw. § 739 Abs. 2 ZPO, § 8 LPartG Anwendung. Wenn der Ehemann der Schuldnerin ein Einzelhandelsgeschäft nicht erkennbar allein und im Alleinbesitz betreibt, sondern mit Beteiligung bzw. Mitbesitz der Schuldnerin, kommt auch hier die Gewahrsamsvermutung in Betracht. Diese Vorschrift begründet für die Zwangsvollstreckung eine Gewahrsamsvermutung für die sich im Besitz eines oder beider Ehegatten bzw. Lebenspartner befindlichen pfändbaren Gegenstände. Zugunsten des vollstreckenden Gläubigers gilt der schuldnerische Ehegatte/Lebenspartner in diesen Fällen als alleiniger Gewahrsamsinhaber. Der Schuldner ist als alleiniger Gewahrsamsinhaber der in dem Gewerbebetrieb der Ehefrau befindlichen Kasse anzusehen, sodass die Vollstreckung weder an fehlendem Gewahrsam des Schuldners scheitert noch an einer fehlenden Herausgabebereitschaft der Ehefrau. Durch das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017 wurde auch gleichgeschlechtlichen Personen die Möglichkeit eröffnet, eine Ehe einzugehen. Das Gesetz ist seit dem 1.10.2017 in Kraft. Neue eingetragene Lebenspartnerschaften können nicht mehr begründet werden. Die Umwandlung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft in eine Ehe regelt § 20a LPartG. Eine automatische Umwandlung erfolgt nicht, es bedarf der persönlichen Erklärung vor dem Standesbeamten. Die Lebenspartnerschaft wird nach der Umwandlung als Ehe fortgeführt.
Rz. 137
Gleiches gilt für die Sachen, die ausschließlich zum persönlichen Gebrauch eines Ehegatten/Lebenspartners bestimmt sind (§ 1362 Abs. 2 BGB), z.B. der Ehering, Schmuck, Pelzmantel pp., aber nicht unbedingt der Pkw.
Rz. 138
Dies gilt auch dann, wenn in der Wohnung vollstreckt wird, in der sich zurzeit nur die Ehefrau aufhält, da sich der Schuldner in Strafhaft befindet. Ausnahmsweise gilt dies nicht, wenn die Ehegatten/Lebenspartner getrennt leben (§ 1362 Abs. 1 S. 2 BGB). Für den Gewahrsam des Schuldners bei Getrenntleben von Eheleuten/Lebenspartnern sind die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend, die nicht durch die Tatsache widerlegt werden, dass der Schuldner unter der angegebenen Anschrift noch polizeilich gemeldet ist.
Rz. 139
Ist der Schuldner in der gemeinsamen Wohnung noch gemeldet und lässt er sich seine Post dorthin zustellen, ohne seine neue Anschrift bekanntzugeben, so ist der Behauptung, die Eheleute/Lebenspartner lebten getrennt und der Schuldner habe in der Wohnung keinen Gewahrsam mehr, nur Glauben zu schenken, wenn weitere objektivierbare Indizien diese Behauptung bestätigen.
Rz. 140
Die Gewahrsamsvermutung ist für die Zwangsvollstreckung unwiderlegbar. Der Gerichtsvollzieher hat die Eigentumsverhältnisse bei der Pfändung nicht zu überprüfen. Auch die Vorlage eines Ehevertrags reicht zur Widerlegung nicht aus, da der Gerichtsvollzieher die Vertragswirkung nicht zu prüfen braucht. Der Ehegatte des Vollstreckungsschuldners muss im Wege der Drittwiderspruchsklage vorgehen (§ 771 ZPO).
Die Gewahrsamsvermutung gilt sowohl beim gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft als auch bei der Gütertrennung.
Rz. 141
Beim Güterstand der Gütergemeinschaft geht die Sonderregelung des § 1416 BGB der Eigentumsvermutung nach § 1362 BGB vor.
Rz. 142
Ob diese Vorschrift auch für den Fall einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft oder für das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft entsprechende Anwendung findet, wird unterschiedlich beantwortet. Überwiegend wird jedoch die Auffassung vertreten, dass eine analoge Anwendung nicht zum Tragen kommt, der Gerichtsvollzieher hat somit § 809 ZPO zu beachten, der Dritte muss bei Mitgewahrsam zur Herausgabe bereit sein. Dieser Auffassung hat sich auch der BGH angeschlossen, die gesetzliche Vermutung des Alleinbesitzes ist auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht entsprechend anzuwenden.