Rz. 492
a) Der Fall
Rz. 493
Die Klägerin verlangte Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens infolge eines Unfalls in einem Kindergarten, dessen Träger die beklagte Kirchengemeinde ist.
Rz. 494
Die Klägerin, eine gelernte Zahntechnikerin, begann im September 2003 wegen eines Asthmaleidens eine von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (künftig: BGFE) finanzierte Umschulung zur Erzieherin. Im April 2004 absolvierte sie im Rahmen der Ausbildung ein Praktikum im Kindergarten der Beklagten. Als auf dem Spielplatz des Kindergartens eine 1993 errichtete Markisenkonstruktion zusammenbrach, deren tragende Holzpfosten in Bodennähe verfault waren, wurde die Klägerin durch herabfallende Teile verletzt. Dem Rechtsanwalt der Klägerin teilte die BGFE am 31.3.2005 mit: "Sachstandsmitteilung/Zuständigkeit … nach aktuellem Stand sind wir nach § 2 Abs. 1 Nr. 15c SGB VII der zuständige Kostenträger, da die Verletzte … zum Unfallzeitpunkt ein Praktikum im Rahmen einer Umschulung gemäß § 3 Berufskrankheitenverordnung … absolvierte".
Rz. 495
Der Klage auf Schmerzensgeld von mindestens 10.000 EUR, Schadensersatz von rd. 6.500 EUR und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden hat das LG im Wesentlichen stattgegeben. Dagegen haben die Beklagte Berufung und die Klägerin Anschlussberufung eingelegt. Die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht mit einem Teil- und Grundurteil zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 496
Das Urteil hielt der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Revision wandte sich nicht dagegen, dass das Berufungsgericht die Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 836 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB bejaht hatte. Dies war rechtlich auch nicht zu beanstanden.
Rz. 497
Jedoch hatte das Berufungsgericht bei der Prüfung, ob die Beklagte gemäß § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII von dieser Haftung befreit ist, den Umfang der Bindungswirkung des § 108 Abs. 1 SGB VII verkannt. Zwar ging das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend davon aus, dass die Zivilgerichte grundsätzlich von Amts wegen die Bindungswirkung des § 108 SGB VII zu beachten haben, weil diese ihrer eigenen Sachprüfung – auch der des Revisionsgerichts – Grenzen setzt. Jedoch hat es fälschlicherweise angenommen, dass es auf die Bindung an die versicherungsrechtliche Zuordnung des Schadensfalls unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 Nr. 15c SGB VII an die BGFE im zivilrechtlichen Haftungsprozess nicht ankomme, weil der Zivilrichter unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt einen Unfall als versicherten Arbeitsunfall einem weiteren Unternehmer zurechnen dürfe.
Rz. 498
Diese Sichtweise des Berufungsgerichts beruhte auf der früheren, inzwischen aufgegebenen Rechtsprechung des Senats, wonach die Zivilgerichte durch § 108 SGB VII nicht grundsätzlich gehindert waren, einen Arbeitsunfall einem weiteren Unternehmer zuzurechnen mit der Folge, dass auch diesem Unternehmer eine Haftungsprivilegierung zugutekommen konnte. Insofern vertritt der erkennende Senat im Hinblick auf die geänderte Rechtslage diese Rechtsauffassung nicht mehr (Senatsurt. v. 22.4.2008 – VI ZR 202/07, VersR 2008, 820, 821 m.w.N.). Die Zivilgerichte sind nunmehr durch § 108 SGB VII hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist, an unanfechtbare Entscheidungen der Sozialbehörden und Sozialgerichte gebunden. Das gilt unabhängig davon, ob sie diese Entscheidungen für richtig halten (Senat, Urt. v. 22.4.2008 – VI ZR 202/07 – a.a.O. m.w.N.).
Rz. 499
Für die Frage, ob Unfälle unter den sozialrechtlichen Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII fallen, ist in der Regel maßgebend, dass zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit im Zeitpunkt des Unfalls ein sachlicher Zusammenhang besteht (vgl. BT-Drucks 13/2204, 77), während ein rein örtlicher oder zeitlicher Zusammenhang nicht genügt. Der sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der den Unfall verursachenden Verrichtung ist wertend zu ermitteln. Maßgebliches Kriterium hierfür ist die Handlungstendenz des Versicherten (BSG, NZS 2006, 100 f., 154, 155 jeweils m.w.N.). Ergibt die wertende Betrachtung, dass die Verrichtung mit mehreren versicherten Tätigkeiten in einem inneren Zusammenhang steht und somit die Merkmale mehrerer Versicherungsschutztatbestände erfüllt sind, führt dies allerdings nicht zu einem mehrfachen Versicherungsschutz und zur Zuständigkeit mehrerer Unfallversicherungsträger. Das v...