Rz. 526

BGH, Beschl. v. 20.9.2005 – VI ZB 78/04, VersR 2005, 1751

Zitat

SGB VII § 108

Hat ein Gericht in einem Rechtsstreit zwischen dem Sozialversicherungsträger des Geschädigten und dem Haftpflichtversicherer des Schädigers über einen Anspruch aus einem Teilungsabkommen zu entscheiden, ist § 108 SGB VII nicht entsprechend anzuwenden.

1. Der Fall

 

Rz. 527

Die Klägerin begehrte von der Beklagten, dem Haftpflichtversicherer des Geschädigten, aus einem zwischen den Parteien bestehenden Teilungsabkommen (TA) vom 29.3./22.4.1985 Ersatz der von ihr erbrachten unfallursächlichen Aufwendungen auf Basis einer Quote von 45 %.

 

Rz. 528

Der Geschädigte – Mitglied der Klägerin – erlitt am 21.7.2001 einen Unfall. Er wollte auf dem Gartengrundstück der von ihm gemieteten Wohnung einen Komposthaufen entsorgen und wandte sich dazu zwecks Mithilfe an einen Nachbarn. Bei den Arbeiten wollte dieser mit einem Radlader rückwärtsfahren, legte jedoch den Vorwärtsgang ein, so dass der Geschädigte verletzt wurde. Ein zwischen ihm und dem Nachbarn über die Haftung geführter Zivilrechtsstreit wurde durch Vergleich beendet.

 

Rz. 529

Das zwischen den Parteien bestehende Teilungsabkommen enthält folgende Bestimmungen:

Zitat

"§ 1"

(1) Kann eine diesem Abkommen beigetretene Krankenkasse ("K") gegen eine natürliche oder juristische Person, die bei einem diesem Abkommen beigetretenen Versicherer ("H") haftpflichtversichert ist, gemäß § 116 SGB X Ersatzansprüche aus Schadenfällen ihrer Versicherten oder deren mitversicherten Familienangehörigen (Geschädigte) geltend machen, so verzichtet die "H" auf die Prüfung der Haftungsfrage.

Das Abkommen findet keine Anwendung, wenn es sich bei dem Geschädigten … um eine Person handelt, der gegenüber die Haftung nach §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen ist.

§ 6

Bei Arbeitsunfällen i.S.d. gesetzlichen Unfallversicherung beschränkt sich der Ersatzanspruch der "K" auf die Leistungen, die vom Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nicht getragen bzw. nicht erstattet werden.“

 

Rz. 530

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat das Verfahren ausgesetzt, bis eine unanfechtbare Entscheidung nach dem Sozialgesetzbuch VII oder nach dem Sozialgerichtsgesetz ergangen ist. Es hat eine Frist von sechs Monaten bestimmt, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig ist.

2. Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 531

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Verfahren müsse gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII ausgesetzt werden. Diese Vorschrift sei ihrem Wortlaut nach zwar nicht unmittelbar anwendbar, weil es nicht um unmittelbare Ersatzansprüche gehe, sondern darum, ob die Voraussetzungen für eine Anwendung des Teilungsabkommens erfüllt seien. Dies hänge gemäß § 1 (5) TA davon ab, ob es sich bei dem Geschädigten um eine Person handele, der gegenüber die Haftung nach den §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen sei. Daher sei entscheidungserheblich, ob der Geschädigte zu den nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII versicherten Personen gehöre. Um divergierende Entscheidungen zwischen dem Berufungsgericht und den Unfallversicherungsträgern zu vermeiden, sei deshalb der Rechtsstreit auszusetzen.

 

Rz. 532

Die Rechtsbeschwerde war statthaft, weil sie von dem OLG als Beschwerdegericht zugelassen worden war (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig ist.

 

Rz. 533

Die angefochtene Entscheidung unterlag jedoch der Aufhebung, da die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 108 SGB VII nicht vorlagen.

 

Rz. 534

Nicht zu beanstanden war allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Anwendbarkeit des Teilungsabkommens gemäß § 1 (5) davon abhänge, ob es sich bei dem Geschädigten um eine Person handele, der gegenüber die Haftung nach den §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen sei. Zwar gehört zu den durch ein Teilungsabkommen ausgeschlossenen Einwendungen grundsätzlich auch die Berufung des Haftpflichtversicherers auf die Haftungsfreistellung des Schädigers nach den §§ 636, 637 RVO, weil auch diese Vorschriften die Entstehung der Ersatzpflicht betreffen. Es ist den Abkommenspartnern aber unbenommen, den Ausschluss der Haftungsfrage und damit den Rationalisierungseffekt des Teilungsabkommens einzuengen (vgl. Senatsurt. v. 6.12.1977 – VI ZR 79/76, VersR 1978, 150, 153; v. 8.2.1983 – VI ZR 48/81, VersR 1983, 534, 535 und v. 23.3.1993 – VI ZR 164/92, VersR 1993, 841, 842). Eine solche Einschränkung lag hier nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 (5) des Teilungsabkommens, das der BGH nach ständiger Rechtsprechung frei auslegen kann, vor.

 

Rz. 535

Der Beschluss hielt jedoch einer rechtlichen Prüfung nicht stand, soweit er die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 108 SGB VII als gegeben ansah.

 

Rz. 536

Nach § 108 Abs. 1 SGB VII sind Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Ansprüche unter anderem hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte gebunden. Nach § 108 Abs. 2 SGB VII hat das Gericht sein Verfahren...

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