Rz. 193
BGH, Urt. v. 18.11.2014 – VI ZR 141/13, VersR 2015, 193
Zitat
SGB VII §§ 104, 108, 110; AÜG § 1 Abs. 1 S. 1; ZPO § 286
Die unanfechtbare Entscheidung des für den Verleiher zuständigen Versicherungsträgers, in der der Unfall eines – aufgrund eines wirksamen Vertrags – entliehenen Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 1 S. 1 AÜG) im Unternehmen des Entleihers als Arbeitsunfall anerkannt wird, hindert die Zivilgerichte nicht, den Unfall haftungsrechtlich dem Unternehmen des Entleihers zuzuordnen und diesen als haftungsprivilegiert anzusehen.
1. Der Fall
Rz. 194
Die Klägerin, eine Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, nahm den Beklagten als Inhaber eines Unternehmens für Elektroninstallation gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII auf Ersatz von Aufwendungen für einen Arbeitsunfall des Zeugen M. (im Folgenden: der Geschädigte) in Anspruch.
Rz. 195
Am 9.6.2008 führten ein Mitarbeiter des Beklagten, der Zeuge S., sowie zwei vom Beklagten bei einer Zeitarbeitsfirma georderte Leiharbeitnehmer, der Zeuge G. und der Geschädigte, Arbeiten auf dem Dach einer Reithalle aus, auf dem eine Photovoltaikanlage installiert werden sollte. Sicherheitsnetze und ein Schutzgerüst waren an diesem Tag noch nicht angebracht. Der Geschädigte trat auf eine zum Dach gehörende Lichtplatte, wodurch diese zerbrach. Er stürzte etwa sieben Meter tief auf den Hallenboden und verletzte sich schwer.
Rz. 196
Das LG hat die Klage nach Vernehmung der drei Zeugen abgewiesen, weil der Beklagte den Versicherungsfall nicht grob fahrlässig herbeigeführt habe. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil ohne weitere Beweisaufnahme abgeändert. Es hat einen Anspruch auf Zahlung dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch alle weiteren gemäß § 110 SGB VII erstattungsfähigen Aufwendungen zu ersetzen, die ihr wegen des Unfalls entstanden sind oder künftig entstehen werden. Dagegen richtete sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten, mit der dieser seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiterverfolgte.
2. Die rechtliche Beurteilung
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Die Revision hatte Erfolg.
Mit Recht hatte das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass der Beklagte eine Person war, deren Haftung nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII beschränkt war. Nach dieser Bestimmung sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Danach haftete der Beklagte vorliegend nicht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte er die Verletzungen des Geschädigten weder vorsätzlich herbeigeführt noch handelte es sich um einen Wegeunfall. Der Unfall war haftungsrechtlich auch dem Unternehmen des Beklagten zuzuordnen, denn der Geschädigte war zum Unfallzeitpunkt auf dessen Baustelle als ein ihm überlassener Leiharbeitnehmer eingesetzt und damit als Versicherter für ihn tätig. Dies galt unbeschadet des Umstands, dass die Klägerin als für das Unternehmen des Verleihers zuständige Berufsgenossenschaft den Unfall des Geschädigten als Arbeitsunfall anerkannt hatte.
Rz. 198
Zwar ist der Zivilrichter gemäß § 112 i.V.m. § 108 Abs. 1 SGB VII an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger hinsichtlich der Frage gebunden, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats erstreckt sich die Bindungswirkung auch auf die Entscheidung darüber, ob der Verletzte den Unfall als Versicherter aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 S. 1 SGB VII erlitten hat und welchem Unternehmen der Unfall zuzurechnen ist (vgl. Senatsurt. v. 22.4.2008 – VI ZR 202/07, VersR 2008, 820 Rn 9, 13; v. 19.5.2009 – VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn 17, 21; v. 30.4.2013 – VI ZR 155/12, VersR 2013, 862 Rn 9, jeweils m.w.N.). An der Zuordnung des Unfalls zu einem anderen Unternehmen gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII sind die Zivilgerichte danach gehindert (vgl. Senatsurt. v. 22.4.2008 – VI ZR 202/07, VersR 2008, 820 Rn 13; v. 19.5.2009 – VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn 17, 20 f.; a.A. BAG NZA-RR 2010, 123 Rn 27, 54 f.).
Rz. 199
Die unanfechtbare Entscheidung des für den Verleiher zuständigen Versicherungsträgers, in der der Unfall eines – aufgrund eines wirksamen Vertrags – entliehenen Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 1 S. 1 AÜG) im Unternehmen des Entleihers als Arbeitsunfall anerkannt wird, hindert die Zivilgerichte jedoch nicht, den Unfall haftungsrechtlich dem Unternehmen des Entleihers zuzuordnen und diesen als haftungsprivilegiert anzusehen.
Rz. 200
Der Senat hat seine Auffassung, die Bindungswirkung des § 108 SGB VII erstrecke sich auch auf die Entscheidung darüber, welchem Unternehmen der Unfall z...