Rz. 36

Zu anderen soziologischen Aspekten der Erbengemeinschaft liegen bislang nur wenige Ansätze vor und Fragestellungen können nur skizziert werden.

Sie betreffen beispielsweise die Erbengemeinschaft als soziologische Einheit und ihre Interaktion mit Außenstehenden, die soziologisch-wirtschaftliche Bedeutung der Erbengemeinschaft und Argumentationsmuster bei der internen Auseinandersetzung:

 

Rz. 37

Unter soziologischen Aspekten ist nicht nur die Interaktion der Miterben untereinander interessant. Die Erbengemeinschaft bildet auch selbst eine soziologische Einheit, die mit Dritten in Kontakt steht. Diese Einheit zu beschreiben, zu charakterisieren und zu untersuchen ist ebenso möglich, wie den Wandel der Zusammensetzung von Erbengemeinschaften in personeller Hinsicht und deren Folgen für die Interaktion der Erbengemeinschaft mit Außenstehenden zu erforschen. Das "Phänomen" auf lange Zeit einvernehmlich nicht auseinandergesetzter Erbengemeinschaften – die gleichsam freiwillig Familienfideikommisse fortführen – zeigt einen Teil möglicher Forschung. Die damit im Zusammenhang stehende Diskussion um ein Bedürfnis zur Rechtsfähigkeit kann zwar einen soziologischen Einschlag haben, wird jedoch mehr auf rechtstheoretischer Ebene geführt.
Ausgangspunkt einer Rechtstatsachenforschung kann der Zusammenhang von Erbengemeinschaft und Größe des Nachlassvermögens sein. Dies ist zum einen von praktischer Relevanz für die Berater. Zum anderen können darauf Untersuchungen aufbauen, die etwa der Frage nachgehen: Haben sich Umfang und/oder Zusammensetzung der Nachlässe geändert und hat dies Auswirkungen auf die Interaktion zwischen den Erben?
Eine These zum Auseinandersetzungsverfahren der Erbengemeinschaft könnte sein, dass Ausgleichungsfragen an Bedeutung gewinnen, weil die Lebenserwartung gestiegen ist[71] und die Eltern ihren Kindern und Enkeln schon zu Lebzeiten Vermögen zukommen lassen, wenn diese es noch mehr benötigen, da sie sich in der "Aufbauphase" des Lebens befinden, und weil mehr Kinder ihre länger lebenden Eltern pflegen. Entsprechend kann der Frage nachgegangen werden, ob nicht ein "Erbausgleich" unter Abkömmlingen schon zu Lebzeiten ein sinnvolles Vorgehen sein kann.[72]
Lohnend erscheint – neben anderen soziologisch-psychologischen Ansätzen – die Untersuchung von Argumentationsmustern: Konflikte innerhalb einer Erbengemeinschaft entzünden sich auch oft an der Frage "Was hat/hätte der Erblasser gewollt?" Dabei geht es – ohne dies durch wissenschaftliche Untersuchungen belegen zu können – wohl nicht immer darum, den letzten Willen des Erblassers zur Geltung kommen zu lassen. Oft wird dieses Argument genutzt, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Die Untersuchung von Argumentationsstrukturen bei der Auseinandersetzung wäre daher ein Ansatz zur Konfliktforschung.
Sollte die – oben angeschnittene – These der veränderten Zusammensetzung der Erbengemeinschaft aufgrund demographischer Entwicklungen bestätigt werden, kann sie auch in eine weitere Richtung verfolgt werden. Wird angenommen, dass in letztwilligen Verfügungen mangels (naher) Verwandter vermehrt gemeinnützige Organisationen bedacht werden, kann die Frage gestellt werden: Wie wirkt sich die Beteiligung juristischer Personen aus, insbesondere von gemeinnützigen Organisationen?
[71] Vgl. Lüscher, ZEV 2004, 1, Tabelle 1.
[72] Vgl. Papantoniou, AcP 173 (1973), 398.

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