§ 2 Unerlaubte Handlungen / 1. Tierhaltereigenschaft

Rz. 764

Die Haftung nach § 833 BGB trifft den Tierhalter. Das ist derjenige, in dessen Gesamtinteresse das Tier gehalten wird und dessen Betrieb oder Haushalt es dient. Dafür ist maßgeblich darauf abzustellen, wem die Bestimmungsmacht über das Tier zusteht, wer aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt und das wirtschaftliche Risiko seines Verlustes trägt, wer sozusagen der "Unternehmer" des mit der Tierhaltung verbundenen Gefahrenbereichs^[2282] ist. Das Merkmal der Haltereigenschaft dient der Zuordnung der Gefahrenquelle zum Gefahrenverantwortlichen, also zu derjenigen Person, die das Tier im eigenen Interesse nutzt und über seine Verwendung und Existenz entscheidet. Das ­Eigentum ist nicht entscheidend für die Haltereigenschaft,^[2283] kann aber ein gewichtiges Indiz sein.^[2284] Gleiches gilt für die Frage, wer das Tier versichert hat und wessen unmittelbarer Einwirkung das ­Tier zur Zeit des Schadensfalls unterlag.^[2285] Die maßgeblichen Gesichtspunkte sind anhand der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu überprüfen und erforderlichenfalls gegeneinander abzuwägen.^[2286]

Rz. 765

Die Tierhaltereigenschaft beginnt regelmäßig beim Erwerb eines Tieres mit Gefahrübergang, also der Übernahme von Bestimmungsmacht, Kosten und Risiken; in anderen Fällen ist auf die von außen erkennbare Übernahme der Haltereigenschaft abzustellen. Die Tierhaltereigenschaft bleibt unberührt, wenn das Tier vorübergehend der unmittelbaren Verfügungsgewalt eines Dritten unterliegt,^[2287] es etwa vermietet,^[2288] verliehen, anderswo untergestellt,^[2289] gepfändet,^[2290] einem Viehhändler auf Kommission,^[2291] einem Hufschmied,^[2292] Tierarzt^[2293] oder jemandem zur Ausbildung^[2294] übergeben wird oder entlaufen ist.^[2295]

Die Tierhaltereigenschaft endet erst in dem Zeitpunkt, in dem der bisherige Halter oder Mithalter die tatsächliche Herrschaft über das Tier einem anderen vollständig überlässt.^[2296] Für einen Polizeihund ist das jeweilige Bundesland Tierhalter, nicht der den Hund führende Polizeibeamte.^[2297] Ein Reitverein ist Tierhalter im Sinne der Vorschrift.^[2298] Inhaber einer Reitbeteiligung sind demgegenüber auch bei regelmäßiger Entgeltzahlung und Mithilfe im Stall keine Tierhalter.^[2299]

Rz. 766

Tierhalter sind beispielsweise auch:

▪	Der Imker für seine Bienenvölker,[2300]
▪	der Betreiber eines Wildparks für die darin eingestellten Wildtiere,[2301]
▪	der Fleischgroßhändler[2302] oder der Metzger für das zum Schlachten gekaufte Vieh,[2303]
▪	der Tierschutzverein für die in seinem Tierheim endgültig abgegebenen Tiere[2304] und
▪	die Gemeinde für die Schwäne in ihrem Park, die sie betreut und versorgt,[2305] und für ihr Wildgehege mit Publikumszugang.[2306]

[2282] BGH, Urt. v. 19.1.1988 – VI ZR 188/87, VersR 1988, 609; BGH, Urt. v. 19.7.2019 – V ZR 177/17, MDR 2019, 1444.

[2283] BGH, Urt. v. 6.3.1990 – VI ZR 246/89, VersR 1990, 796: gegen Minderjährige als Tierhalter.

[2284] OLG Zweibrücken, Urt. v. 12.8.2004 – 1 U 65/04, OLGR 2005, 247; Lorenz, Gefährdungshaftung des Tierhalters, 328.

[2285] BGH, Urt. v. 19.1.1988 – VI ZR 188/87, VersR 1988, 609.

[2286] OLG Schleswig, Urt. v. 8.7.2004 – 7 U 146/03, MDR 2005, 146.

[2287] BGH, Urt. v. 19.1.1988 – VI ZR 188/87, VersR 1988, 609.

[2288] BGH, Urt. v. 15.12.1970 – VI ZR 121/69, VersR 1971, 320.

[2289] BGH, Urt. v. 19.1.1988 – VI ZR 188/87, VersR 1988, 609.

[2290] OLG Hamm, Urt. v. 14.4.1994 – 6 U 2/94, VersR 1996, 237.

[2291] OLG Celle, Urt. v. 14.8.1975 – 5 U 20/75, VersR 1976, 763.

[2292] BGH, Urt. v. 28.5.1968 – VI ZR 35/67, VersR 1968, 797.

[2293] BGH, Urt. v. 17.3.2009 – VI ZR 166/08, VersR 2009, 693.

[2294] BGH, Urt. v. 14.7.1977 – VI ZR 234/75, VersR 1977, 864; anders noch RG, Urt. v. 13.7.1904 – VI 199/04, RGZ 58, 410.

[2295] BGH, Urt. v. 29.8.1963 – VI ZR 94/64, NJW 1965, 2397.

[2296] BGH, Urt. v. 27.10.1988 – III ZR 8/88, BGHR BGB § 833 S. 1 Tierhalter; OLG München, Urt. v. 8.8.2012 – 20 U 1121/12, juris.

[2297] OLG Brandenburg, Urt. v. 13.10.2008 – 1 U 2/08, MDR 2009, 633.

[2298] BGH, Urt. v. 16.3.1982 – VI ZR 209/80, VersR 1982, 670; OLG Celle, Urt. v. 12.6.1978 – 1 U 2/78, VersR 1979, 161.

[2299] OLG Schleswig, Urt. v. 21.6.2007 – 7 U 50/06, OLGR 2007, 768; OLG Nürnberg, Urt. v. 29.3.2017 – 4 U 1162/13, NJW-RR 2017, 1173.

[2300] BGH, Urt. v. 24.1.1992 – V ZR 274/90, VersR 1992, 624.

[2301] BGH, Urt. v. 13.7.1976 – VI ZR 99/75, VersR 1976, 1175; OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.12.2000 – 4 U 94/99, OLGR 2001, 169.

[2302] OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.4.1982 – 3 U 137/81, VersR 1983, 543.

[2303] RG, Urt. v. 18.4.1912 – IV 429/11, RGZ 79, 246.

[2304] OLG Zweibrücken, Urt. v. 12.8.2004 – 1 U 65/04, OLGR 2005, 247.

[2305] LG Düsseldorf, Urt. v. 20.1.1993 – 2 O 365/92, VersR 1993, 1243.

[2306] BGH, Urt. v. 13.7.1976 – VI ZR 99/75, VersR 1976, 1175.