Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1061
Ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff setzt voraus, dass rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird. Dabei bedarf die Annahme eines entschädigungspflichtigen Sonderopfers regelmäßig keiner besonderen Begründung, da es sich aus dem Umstand ergibt, dass in die Rechtsposition des Betroffenen rechtswidrig eingegriffen wird.
Rz. 1062
Das Kriterium der Unmittelbarkeit ist kein formales, sondern betrifft die Zurechenbarkeit der hoheitlichen Maßnahme. Es muss sich also eine besondere Gefahr verwirklichen, die bereits in der hoheitlichen Maßnahme selbst angelegt ist. Das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit ist dabei ein Kriterium für die wertende Zurechnung der Schadensfolgen nach Verantwortungsbereichen und Risikosphären.
Unmittelbarkeit in dem gerade genannten Sinne hat der BGH für das Versagen technischer Einrichtungen (hier: feindliches Grün einer Ampel) angenommen. Zuvor war dieselbe Frage anders beantwortet worden.
Rz. 1063
Schäden, die auf eigenem riskanten, wenn auch nicht verbotenem Handeln des Betroffenen beruhen und bei denen der innere Zusammenhang zu dem staatlichen Handeln nicht (mehr) gegeben ist, sind nicht anspruchsbegründend, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen.
Rz. 1064
Die rechtswidrige Ablehnung eines Bauvorbescheides, einer Baugenehmigung oder einer Genehmigung zur Nutzungsänderung kann neben Amtshaftungsansprüchen auch einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff auslösen.
Rz. 1065
In einer rechtswidrigen, förmlichen Versagung der Erlaubnis zur Aufnahme oder Erweiterung eines Gewerbebetriebes liegt kein enteignungsgleicher Eingriff, weil dadurch nur künftige Erwerbsmöglichkeiten betroffen werden. Verdienstmöglichkeiten und Gewinnchancen, die erst durch künftige gewerbliche Tätigkeit verwirklicht werden können, liegen außerhalb des Schutzbereichs des Art. 14 GG. Der nur dem Schutzbereich des Art. 12 GG unterfallende Bereich der Freiheit der Berufswahl und Ausübung, der sog. Erwerbsschutz, unterliegt also nicht dem Tatbestand des enteignungsgleichen Eingriffs, weil es sich nicht um eine eigentumsrechtlich geschützte Position handelt. Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff können aber in Betracht kommen, wenn durch die Vorenthaltung der gewerberechtlichen Erlaubnis der bereits bestehende Betrieb beeinträchtigt wird, denn auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, wozu auch landwirtschaftliche Betriebe, Forstgüter und freiberufliche Praxen zählen, genießt den Eigentumsschutz des Art. 14 GG. Geschützt ist die "Sach- und Rechtsgesamtheit" des Gewerbebetriebs in ihrer "Substanz". Ob Entschädigungsansprüche auch dann bestehen, wenn eine Gewerbeerlaubnis für eine Betriebserweiterung versagt wird, hat der BGH offengelassen. Mit Urteil vom 31.1.2019, das allerdings ein Entschädigungsverfahren wegen entgangener Agrarbetriebsprämien nach Art. 34 der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 betraf, hat der BGH entschieden, dass, solange das Gesetz einem Einzelnen einen Anspruch auf eine öffentlich-rechtliche Subvention gewähre, es einen entschädigungspflichtigen Eingriff in eine nach Art. 14 Abs. 1 GG grundgesetzlich geschützte Rechtsposition darstelle, wenn dieser Anspruch infolge des enteignenden Zugriffs auf ein Grundstück oder einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Fortfall gerate. Eine durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG geschützte Rechtsposition ist nicht gegeben, wenn die Alleineigentümerin des Grundstücks ihrem Ehemann die Befugnis zur Bebauung des Grundstücks einräumt und diese Befugnis jederzeit widerrufen werden kann. Allein der Umstand der ehelichen Verbindung rechtfertigt es nicht, die erteilte Befugnis zur Benutzung des Grundstücks als eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition anzusehen. Der Anliegergebrauch stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Rechtsposition dar. Die Reichweite seiner Gewährleistung richte sich nach dem einschlägigen Straßenrecht, dessen Regelungsbereich das Nachbarschaftsverhältnis zwischen Straße und angrenzendem Grundstück mit umfasse. In der Rechtsprechung des BGH ist das Anliegerrecht dagegen als eigentumsgeschützte Position anerkannt worden. Zu berücksichtigen ist, dass die Straßengesetze der Länder bei durch Bauvorhaben bedingten Einschränkungen des Anliegergebrauchs Entschädigungsregelungen vorsehen, wenn die Zumutbarkeitsschwelle überschritten ist. Insoweit gehen diese Regelungen als spezialgesetzliche Regelungen vor. Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff kommen aber noch in Betracht, soweit es um vom jeweiligen Straßenrecht oder anderen entsprechenden Regelungen nicht erfas...