Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 739
Bei Jugendlichen, die keine besonderen Auffälligkeiten zeigen, nimmt die Aufsichtspflicht mit zunehmendem Alter ab. Schon bei zehn bis elf Jahre alten Kindern verbietet sich eine Überwachung auf Schritt und Tritt sowie beim Spielen im Freien. Auch hier müssen aber etwa die Eltern beachten, dass beim Gebrauch von Zündmitteln Vorsicht angebracht ist. Bei einem fast zwölf Jahre alten Jungen gelten aber nicht in allem dieselben Maßstäbe, die bei der Aufsichtspflicht für kleinere Kinder heranzuziehen sind. Wie der Bundesgerichtshof hier zutreffend ausführt, wachsen mit zunehmendem Alter eines normal begabten und entwickelten Kindes seine intellektuellen und psychischen Fähigkeiten sowie seine Möglichkeiten zu rationaler Einsicht (etwa in die Gefahren offenen Feuers) und zur Beachtung solcher Einsichten auch im Rahmen spielerischen Verhaltens. Ein Problem ist natürlich, dass eventuell – je nach Veranlagung des Kindes – auch seine Risikobereitschaft zunimmt. Das entspricht dem natürlichen Wachstums- und Reifeprozess. Die Eltern müssen nun Art, Umfang und Maß ihrer Aufsicht wesentlich daran ausrichten, welche Veranlagung und welches Verhalten das Kind in der jeweiligen Altersstufe an den Tag legt und in welchem Umfang die bisherige Erziehung Erfolge hat.
Rz. 740
Dies bedeutet, dass dem Jugendlichen auch gefährliche Handlungen erlaubt werden können, wenn eine ausreichende Aufklärung über die Gefahren und das zur Schadensvermeidung erforderliche Verhalten erfolgt ist. So verletzen Eltern ihre Aufsichtspflicht noch nicht dadurch, dass sie etwa einem zwölf Jahre alten Jungen das Hantieren mit Brennspiritus beim Anzünden von Holzkohle auf Grillgeräten erlauben. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Urteil mit Recht darauf hingewiesen, dass nicht unbedingt das Fernhalten von jedem Gegenstand, der bei unsachgemäßen Umgang gefährlich werden kann, sondern gerade die Erziehung des Kindes zu verantwortungsbewusstem Hantieren mit einem solchen Gegenstand oft der bessere Weg sein wird, das Kind und Dritte vor Schäden zu bewahren, wobei die Notwendigkeit frühzeitiger praktischer Schulung des Kindes, das seinen Erfahrungsbereich möglichst ausschöpfen soll, hinzukommt. In dem zitierten Fall wurde die Haftung nur bejaht, weil eine ausreichende Aufklärung des Jugendlichen über die drohenden Gefahren nicht bewiesen war.
Rz. 741
Eine durchgehende Überwachung Jugendlicher auf ein gefährliches Verhalten kann nicht verlangt werden. So stellt es nicht unbedingt eine Aufsichtspflichtverletzung dar, wenn Eltern eines Jugendlichen nicht bemerken, dass er sich heimlich eine Schusswaffe besorgt hat. Wenn die Eltern allerdings wissen, dass ihr 15-jähriges Kind mit Schusswaffen umgeht, sind an die Erfüllung der Aufsichtspflicht hohe Anforderungen zu stellen. Entsprechendes gilt, wenn den Eltern eines 15 ½Jahre alten Jugendlichen dessen Fahrleidenschaft bekannt ist; dann reicht möglicherweise ein bloßes Verstecken des Zündschlüssels im Wohnzimmerschrank nicht aus. Irgendwann können sich Aufsichtsmaßnahmen nur noch auf das Bemühen beschränken, einen gewissen Einfluss auf die Lebensführung des Jugendlichen zu behalten, ihm z.B. aus gegebenem Anlass abzuraten, den Umgang mit Menschen zu pflegen, die ihn in schlechter Weise beeinflussen oder gar zur Begehung von Straftaten verführen oder zu Schlägereien anreizen. Die Annahme, vom Vater eines fast 18-jährigen Sohnes könne verlangt werden, diesem generell zu verbieten, in seiner Freizeit Gaststätten oder Partys zu besuchen, wäre lebensfremd.
Rz. 742
Wird der Jugendliche volljährig, kann ein Versagen der Eltern unter Umständen haftungsrechtlich relevant sein, allerdings in der Regel nicht unter dem Gesichtspunkt des § 832 BGB, sondern nach allgemeinen Regeln.