Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 872
Der Anspruch nach § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG besteht nach dem Wortlaut nur dann, wenn die einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt wurde.
Rz. 873
Die Drittgerichtetheit der Amtspflicht hat sowohl haftungsbegründende als auch -begrenzende Funktionen: Begründend, soweit klargestellt wird, gegenüber welchem Geschädigten die Verantwortlichkeit des Staates eintritt, begrenzend, soweit anderen Personen, die nicht zum Kreis der Dritten zählen, ein Anspruch auch dann zu versagen bleibt, wenn sich das pflichtwidrige Handeln des Amtsträgers für sie nachteilig ausgewirkt hat.
Rz. 874
Ob der Geschädigte geschützter Dritter ist, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH danach, ob die Amtspflicht – wenn auch nicht notwendig allein, so doch gegebenenfalls neben der Erfüllung allgemeiner Interessen und öffentlicher Zwecke – auch den Sinn hat, gerade sein Interesse wahrzunehmen. Aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts muss sich ergeben, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen; darüber hinaus kommt es darauf an, ob in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen. Hierfür ist die unmittelbare Beteiligung am Amtsgeschäft ebenso wenig notwendige Voraussetzung wie ein Rechtsanspruch des Betroffenen auf die in Rede stehende Amtshandlung.
Rz. 875
Allerdings genügt es nicht allein, dass sich die Verletzung der Amtspflicht für den Geschädigten nachteilig ausgewirkt hat. Da eine Person, der gegenüber eine Amtspflicht zu erfüllen ist, nicht in allen ihren Belangen immer als Dritter anzusehen sein muss, ist jeweils auch zu prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt sein soll. Man kann insoweit von einem "gespaltenen Drittschutz" sprechen.
Rz. 876
Nicht zu verkennen ist freilich, dass die Rechtsprechung durch eine großzügige Auslegung die grundsätzlich haftungseinschränkende Wirkung dieses Tatbestandsmerkmals einhegt. Zur Frage der Drittbezogenheit von Amtspflichten hat sich deshalb eine umfangreiche, kasuistische Rechtsprechung entwickelt. Abgrenzungsprobleme stellen sich allerdings nicht, soweit der Geschädigte die Beeinträchtigung eines subjektiv-öffentlichen Rechts geltend machen kann und soweit absolute Rechtsgüter betroffen werden, weil das allgemeine Gebot rechtmäßigen Verhaltens gebietet, unerlaubte Handlungen zu unterlassen. Die Drittbezogenheit der Amtspflicht ergibt sich in diesem Fall unmittelbar aus dem Schutz absoluter Rechtsgüter.
Rz. 877
Im Übrigen ist nach dem Schutzzweck der Amtspflicht abzugrenzen; danach kann im Einzelfall bei ein und derselben Amtspflicht der drittschützende Charakter zugunsten einzelner Betroffener bejaht oder verneint werden.
Rz. 878
Der Betrieb von Abwasserbeseitigungsanlagen unterfällt Amtspflichten. Kommt es zu Überschwemmungsschäden oder zu Schäden, die aufgrund der Verkehrsbeeinflussung durch pflichtwidrigen Rückstau oder eine pflichtwidrig unzureichende Dimensionierung der Abwasserkanalisation erfolgen, kann dem Eigentümer eines Grundstücks, das an die Kanalisation angeschlossen ist, nach Amtshaftungsgrundsätzen gehaftet werden, wobei eine etwaig daneben bestehende Haftung nach § 2 Abs. 1 HPflG unberührt bleibt. Die Dimensionierung eines Entwässerungssystems hat sich an den im konkreten Fall gegebenen tatsächlichen Verhältnissen, namentlich in abwasserwirtschaftlicher und -technischer sowie topographischer Hinsicht auszurichten. Eine Gemeinde ist aber nicht verpflichtet, ihre Entwässerungsanlage so zu errichten, dass diese einem 30- bis 50-jährigen Berechnungsregen genügt. Auch muss für ein Hochwasser mit einer Wiederkehrzeit von weit über 100 Jahren keine Vorsorge getroffen werden.
Trotz Vorliegens einer objektiven Pflichtverletzung der Gemeinde in Form der Unterdimensionierung des Kanalnetzes kommt jedoch ein Amtshaftungsanspruch des Hauseigentümers wegen eines Rückstauschadens nicht in Betracht, wenn die vom Hauseigentümer gegen einen möglichen Rückstau zu treffenden Vorkehrungen (Rückstausicherung) fehlten oder unzureichend waren und der eingetretene Schaden vor diesem Hintergrund außerhalb des Schutzbereichs der von der Gemeinde verletzten Pflichten liegt. In diesem Fall besteht auch weder ein Schadensersatzanspruch des Anschlussnehmers aus dem auf dem Kanalanschluss beruhenden öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis noch ein Anspruch aus § 2 Abs. 1 S. 1 HPflG. Ebenso fallen in den Schutzbereich der Warnung vor Überschwemmungen solche Schäden nicht, die sich nur bei Missac...