Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1128
Die besonderen Umstände, die dazu führen, dass mehrere ersatzpflichtige Schadensverursacher miteinander eine Haftungseinheit bilden, also wie eine einzelne Person zu behandeln sind und auf eine einheitliche Quote haften, können auch im Verhältnis zwischen einem von mehreren haftenden Schadensverursachern und dem Geschädigten selbst vorliegen. Dann ist der Beitrag eines von mehreren Schädigern mit einem Beitrag des Geschädigten zu einer Einheit verschmolzen, so dass dieser eine Schädiger und der Geschädigte gemeinsam wie eine einzelne Person zu behandeln sind, die einem oder mehreren weiteren Schädigern gegenübersteht und auf die eine einheitliche Quote entfällt. Eine solche Einheit aus Geschädigtem und einem von mehreren Schädigern wird als Zurechnungseinheit oder auch als Tatbeitragseinheit bezeichnet. Dabei geht es um Fallgestaltungen, bei denen die vom Erstschädiger und dem Geschädigten zu verantwortenden Kausalbeiträge im Wesentlichen deckungsgleich erscheinen, weil sie gemeinsam eine Gefahr bringende Verkehrslage geschaffen haben, zu der dann erst später der weitere Schadensbeitrag des zweiten Schädigers hinzugetreten ist. Auch durch die Rechtsfigur der Zurechnungseinheit bzw. Tatbeitragseinheit soll vermieden werden, dass im Wesentlichen identische Verursachungsfaktoren zum Nachteil eines der Beteiligten doppelt zum Ansatz kommen.
Rz. 1129
Derartige Zurechnungseinheiten bzw. Tatbeitragseinheiten hat die Rechtsprechung u.a. in folgenden Fällen bejaht:
Zwei elf Jahre alte Kinder waren für ein auf der Fahrbahn gespieltes "Pferdchen-Spiel" durch ein Seil in der Weise miteinander verbunden, dass das eine Kind das andere Kind zog. Beim Überqueren der Straße wurde das gezogene Kind von einem u.a. zu schnell fahrendem Pkw erfasst und verletzt. Sowohl Fahrer und Halter des Pkw als auch das ziehende Kind waren dem verletzten Kind zum Schadensersatz verpflichtet. Die Verursachungsbeiträge der Kinder, das auf der Fahrbahn gefährliche "Pferdchen-Spiel" nicht zu unterlassen, waren bereits zu einem einheitlichen Gefahrenmoment zusammengeflossen, als die durch Betriebsgefahr und Fahrverhalten geprägte zweite Kausalkette hinzutrat. Diese bildeten damit eine Zurechnungseinheit im Sinne eines einheitlich zu bewertenden Tatbeitrags. War in dem ersten Prozess des verletzten Kindes gegen den Haftpflichtversicherer des Pkw ein Verursachungsanteil des verletzten Kindes von 20 % festgestellt, konnte der Haftpflichtversicherer das ziehende Kind in einem zweiten Prozess nur berechtigt auf Innenausgleich in Anspruch nehmen, sofern auf die aus dem ziehenden Kind und dem verletzten Kind bestehende Zurechnungseinheit ein Verursachungsanteil von mehr als 20 % entfiel – was durch den Tatrichter zu bewerten war.
Rz. 1130
Nicht deliktsfähige Kinder können mit weiteren Personen keine Zurechnungseinheit bilden. Dem steht schon entgegen, dass es bei der Zurechnungseinheit um das Einstehen für eigenes Verschulden geht und dem noch nicht deliktsfähigen Kind kein Schuldvorwurf gemacht werden kann.
Rz. 1131
Um ein Fahrzeug mit Motordefekt in der Dunkelheit von der Fahrbahn zu bringen, schob die später Geschädigte den Pkw auf Bitte des Fahrers. Ein Taxi fuhr auf den Pkw auf, wobei die Pannenhelferin verletzt wurde. Die Verursachungsbeiträge der geschädigten Helferin und des Pkw-Fahrers hatten zu einer einheitlichen, nicht trennbaren Gefahrenlage geführt bevor der Ursachenbeitrag des Taxifahrers hinzukam.
Rz. 1132
Der Tierhalter und der Tieraufseher haften bei einem Unfall eines Kraftfahrzeugs mit einem Pferd als Gesamtschuldner nach einer im Verhältnis zum Geschädigten einheitlichen Quote, wenn die beiden unterschiedlichen Verursacherbeiträge, das Halten der am Unfall beteiligten Pferde und die Aufsichtspflichtverletzung und Sorgfaltspflichtverletzung, dazu geführt haben, dass die Pferde auf die Straße gelangen und zu der konkreten Gefahrenlage führen konnten, die erst durch den Verursacherbeitrag des Geschädigten zum Unfall geführt hat.
Rz. 1133
Ist der Geschädigte an einer Zurechnungseinheit mit einem von mehreren Schädigern beteiligt, dann bestimmt die Haftungsquote, die diese Gruppe trifft, zugleich die Mitverursachungsquote, um die der Anspruch des Geschädigten zu mindern ist, § 254 Abs. 1 BGB. Dabei kommt es gegenüber einem weiteren außerhalb dieser Zurechnungseinheit stehendem Schädiger nicht auf die Verteilung innerhalb dieser Zurechnungseinheit an; unterschiedlich gewichtige Ursachenbeiträge sind vielmehr innerhalb der Zurechnungseinheit auszugleichen.