Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 178
Folgeunfälle können darauf beruhen, dass ein erstes Unfallgeschehen weitere Unfälle nach sich zieht. So können nach einem Verkehrsunfall weitere Fahrzeuge in die Unfallstelle hineinfahren bis zum Massenauffahrunfall. Ein Folgeunfall kann auch dadurch geschehen, dass sich die Insassen der am Erstunfall beteiligten Fahrzeuge auf die Fahrbahn oder an den Fahrbahnrand begeben und dort angefahren werden oder andere Verkehrsteilnehmer zum Bremsen oder Ausweichen veranlassen, wodurch es zu weiteren Unfällen kommt. Auch durch den Erstunfall auf die Fahrbahn gelangte Gegenstände können weitere Unfälle anderer Verkehrsteilnehmer verursachen. Schließlich können sich Folgeunfälle alleine dadurch ergeben, dass die Straße infolge des Erstunfalls versperrt ist und nachfolgende Verkehrsteilnehmer darauf nur unzureichend reagieren bzw. reagieren können. Ein Folgeunfall im weiteren Sinn liegt auch vor, wenn ein bei einem Unfall Verletzter auf der Fahrt mit dem Krankenwagen erneut verunfallt oder aufgrund einer ärztlichen Falschbehandlung der Unfallverletzung ein größerer Schaden entsteht.
Rz. 179
In all diesen Fällen ist die äquivalente und adäquate Kausalität zu bejahen. Die Haftung des für den Erstunfall Verantwortlichen ist in der Regel auch nach dem Schutzzweck der anzuwendenden Haftungsnormen (beim Verkehrsunfall § 823 BGB, § 7 Abs. 1 StVG) zu bejahen. Der Zurechnungszusammenhang ist erst dann unterbrochen, wenn der erste Unfall nur äußerer Anlass für den Folgeunfall gewesen ist, tatsächlich aber ein eigenständiges Verhalten eines Dritten dem Geschehen eine Wendung gibt, die die Wertung erlaubt, das mit dem Erstunfall gesetzte Risiko sei für den Zweitunfall von völlig untergeordneter Bedeutung, eine Haftung des Erstunfallverursachers sei daher nicht gerechtfertigt. In Einzelfällen kann danach die Zurechnung zu verneinen sein, wenn es in Anbetracht des Hergangs eines Folgeunfalls als unangemessen erscheint, den Verursacher des Erstunfalls haften zu lassen. Beispielfälle sind die Teilsperrung der Autobahn und die Beschädigung eines gelandeten Rettungshubschraubers. Je nach Einzelfall ergeben sich sicher immer wieder Bewertungsprobleme. Die Verneinung des Zurechnungszusammenhangs sollte aber in derartigen Fällen die Ausnahme sein.
Rz. 180
Nach der Kausalität oder besser gesagt der Zurechnung von Schadensfolgen ist zu fragen, wenn Schadensfolgen auf unterschiedlichen (meist zeitlich gestaffelten) Ereignissen beruhen. Ein typischer Beispielfall ist der, dass ein Verkehrsteilnehmer bei einem ersten Verkehrsunfall Körperschäden erleidet und diese dann durch einen später stattfindenden weiteren Unfall perpetuiert oder verstärkt werden. Im Grundsatz gilt insoweit, dass dem Erstschädiger die Folgen eines späteren Unfalls zugerechnet werden können, wenn der Erstunfall sich auf das endgültige Schadensbild in relevanter Weise ausgewirkt hat. Die haftungsausfüllende Kausalität entfällt nicht schon dann, wenn ein weiteres Ereignis mitursächlich für den endgültigen Schaden geworden ist. Allerdings können die Verletzungsfolgen des Erstunfalls nach dem Zweitunfall für die Beschwerden des Geschädigten nur dann noch mitverantwortlich sein, wenn sie noch nicht ausgeheilt waren. Ist festzustellen, dass sie bereits ausgeheilt waren, kann allein der zweite Unfall zu den nunmehr vorhandenen Schäden geführt haben; eine Haftung des für den Erstunfall Verantwortlichen scheidet dann aus.
Rz. 181
Waren die Folgen des Erstunfalls im Zeitpunkt des Zweitunfalls noch nicht ganz abgeklungen, können sich insoweit Zurechnungsprobleme stellen. Insbesondere im Bereich der HWS-Verletzungen mit ihren vielfältigen Problemen im Bereich zwischen "echten" Gesundheitsschäden und stark subjektiv geprägten Befindlichkeitsgefühlen erscheinen Überlegungen zur Zurechnung oft angebracht (vgl. dazu Rdn 24 ff.). Unter diesem Blickwinkel hat der BGH entschieden, dass der erforderliche haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem Erstunfall und den Folgen des Zweitunfalls zu verneinen ist, wenn die Auswirkungen des Erstunfalls für den Zustand, in dem sich der Geschädigte nach dem Zweitunfall befindet, nur noch ganz geringfügig sind. In dem entschiedenen Fall bestand der Beitrag des Erstunfalls zum endgültigen Schadensbild (HWS-Verletzung) nur noch darin, dass eine anlagebedingte Neigung des Geschädigten zu psychischer Fehlverarbeitung geringfügig verstärkt wurde. Mit Recht hat der BGH angenommen, dass dies nicht ausreicht, um den Verursacher des Erstunfalls auch für die nach dem Zweitunfall bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen haften zu lassen. Natürlich kann es auch die umgekehrte Konstellation geben, bei der ein Unfallgeschädigter vor dem Zweitunfall erhebliche nicht ausgeheilte Verletzungen hatte und nachhaltige neue Beeinträchtigungen durch den Zweitunfall nicht feststellbar sind. Insoweit wird man allerdings vielfach nicht zur Prüfung des Zurechnungszusammenhangs kommen, weil bereits eine d...