Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 476
Sowohl auf Pisten als auch auf Skirouten und erst recht im freien Gelände verantwortet in erster Linie der Wintersportler selbst, welche Gefahren er bei der Abfahrt eingehen will und entsprechend seinen Fähigkeiten eingehen kann. Deshalb scheiden für die Pistensicherungspflicht nicht nur Gefahren aus, die dem Skisport typischerweise eigen sind (vgl. Rdn 445 f.), die der Skiläufer also "in Kauf nimmt", wie etwa Geländeschwierigkeiten durch eisige Stellen, Schwungbuckel und Mulden sowie schlechte Schneequalität, sondern auch die, die zwar ein für den Skisport lästiges Hindernis darstellen, für den Abfahrer aber rechtzeitig erkennbar sind und auf die er seine Fahrweise einstellen kann. Der Skifahrer muss seine Fahrweise den wechselnden Geländeverhältnissen, Schwierigkeiten der Wegführung, Veränderung der Wetterlage und der Schneebeschaffenheit anpassen.
Rz. 477
Auf Pisten, die für den Wintersport angelegt sind, bestehen Verkehrssicherungspflichten in Form der sogenannten Pistensicherungspflicht. Der Begriff der Piste ist nicht allgemein gültig definiert. Eine Definition enthält zwar § 1 Abs. 1 der bayerischen Verordnung über die Kennzeichnung der Skiabfahrten, Skiwanderwege und Rodelbahnen (SkiKennzV) und die DIN 32 912. Danach sind Abfahrten bzw. Skipisten allgemein zugängliche, zur Abfahrt mit Ski oder Skibob vorgesehene und geeignete Strecken, die gekennzeichnet, kontrolliert, vor atypischen Gefahren, insbesondere Lawinengefahren, gesichert und nach Möglichkeit präpariert werden. Um den räumlichen Geltungsbereich der Pistensicherungspflicht festzulegen, kann diese Definition aber nicht unmittelbar herangezogen werden, soweit sie – insoweit zirkelschlüssig – getroffene Sicherungsmaßnahmen für die Annahme einer Piste voraussetzt. Auch ohne Markierung kann allein durch Eröffnung eines entsprechenden Verkehrs, indem eine Abfahrtstrecke tatsächlich hergerichtet und unterhalten wird, die Pistensicherungspflicht begründet werden. Zur Piste gehören jedenfalls die nach § 1 SkiKennzV oder nach DIN 32 912 markierten Strecken. Im Übrigen ist im Einzelfall zu prüfen, was der Piste neben der markierten Strecke angesichts der konkreten Geländeverhältnisse noch zuzurechnen ist. Die Abgrenzung einer Piste mit Mittelmarkierung vom freien Gelände kann sich aus Waldrändern, insbesondere aber auch aus der Herrichtung des konkreten Geländes ergeben. Ist ein Teil des Geländes in der Weise mechanisch präpariert, dass angrenzendes Tiefschneeterrain von der hergerichteten Abfahrt gut unterscheidbar ist, wird der Pistenrand durch die Präparierung gekennzeichnet.
Rz. 478
Die Verantwortung des Verkehrssicherungspflichtigen erstreckt sich – wie dies auch sonst bei Sportanlagen der Fall ist (vgl. Rdn 445 f.) – in erster Linie auf verdeckte und atypische Gefahren. Atypisch sind solche Gefahren, mit denen im Hinblick auf das Erscheinungsbild und den angekündigten Schwierigkeitsgrad der Piste auch ein verantwortungsvoller Skiläufer nicht rechnet, die also nicht pistenkonform sind wie etwa tiefe Löcher, Betonsockel, Abbrüche der Steilflanken im Randbereich der Piste. Beispielsweise sind in den folgenden Konstellationen Sicherungsmaßnahmen zum Schutz vor verdeckten oder atypischen Gefahren notwendig:
▪ |
Eine die Abfahrtspiste kreuzende Straße birgt jedenfalls dann eine atypische Gefahr, wenn sie beiderseits durch steil abfallende Schneewände begrenzt und für den abfahrenden Skiläufer nicht ohne weiteres erkennbar ist. In derartigen Fällen sind entsprechende Sicherungsmaßnahmen, mindestens aber eine rechtzeitige Warnung notwendig. |
▪ |
Der Betreiber eines Ski- oder Rodelgeländes verletzt die Pistensicherungspflicht, wenn zur Abgrenzung von Ski- und Rodelbereich mitten auf einer leicht abschüssigen Wiese hangabwärts in größeren Abständen fest einbetonierte Eisenstangen ohne Aufprallsicherungen angebracht sind. |
▪ |
Eine atypische Gefahr stellen im Schnee verborgene Weidezaundrähte im Bereich einer Abfahrtsroute dar. |
▪ |
Eine Vereisung der Piste ist ausnahmsweise dann eine atypische Gefahr, wenn Schlüsselstellen derart vereist sind, dass dort stürzende und abrutschende Skifahrer sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr mithilfe ihrer Skikanten nach einigen Metern fangen können. Vor einer atypischen Vereisung der Piste und den damit verbundenen Gefahren sind die Skifahrer so deutlich zu warnen, dass es ihnen möglich ist, die mit einer Abfahrt verbundenen Risiken richtig einzuschätzen. In Extremfällen muss der Sicherungspflichtige die Abfahrt sperren. |
Rz. 479
In folgenden Konstellationen handelt es sich um typische für Wintersportler erkennbare Gefahren, auf die sie sich einstellen müssen und die deshalb keine Sicherungsmaßnahmen erfordern:
▪ |
Ein quer zum Hang verlaufender Skiweg (Ziehweg) braucht nicht gesichert zu werden, wenn der Hang nur mäßig steil ist und keine besondere Gefahr – wie etwa Steilabbrüche – aufweist. Mit derartigen normalerweise ohne weiteres beherrschbaren Gefahr... |