Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 134
Mit dem Schlagwort des Handelns auf eigene Gefahr wird immer noch ab und zu argumentiert, wenn es um Fallgestaltungen geht, bei denen der Geschädigte bestimmte Risiken in Kauf genommen hat, die sich letztlich in einem Verletzungserfolg realisiert haben. Als eigenständiges Rechtsinstitut sollte das Handeln auf eigene Gefahr indes heutzutage nicht mehr verstanden werden. Die Übernahme der Gefahr wird auf verschiedenen Ebenen, insbesondere der des Mitverschuldens und der Ebene der treuwidrigen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, berücksichtigt. Die meisten Fälle resultieren aus sportlicher Betätigung oder der Teilnahme an gefährlichen Unternehmungen bzw. gefährlichem Tun.
Rz. 135
Bei Verletzungen im Sport besteht in der Regel keine ausdrücklich oder konkludent erklärte Einwilligung. In den meisten Sportarten wissen die Beteiligten, dass es trotz regelgerechter Sportausübung regelmäßig zu Verletzungen kommt, hoffen aber, dass ihnen dies nicht geschieht. Der Gedanke der Einwilligung sollte deshalb nur bei auf Verletzungszufügung geradezu angelegten Sportarten, wie etwa Boxen, in Betracht gezogen werden. Ansonsten geht es um einen anderen Gedanken: Derjenige, der an einem schadensgeneigten Sport oder einer sonstigen Unternehmung teilnimmt, bei der jeder Beteiligte sowohl Schädiger als auch Geschädigter sein kann, handelt als Geschädigter treuwidrig, wenn er einen Schadensersatzanspruch geltend macht, obwohl der Schädiger regelgerecht gehandelt oder nur eine geringfügige Regelverletzung begangen hat, sich also lediglich das in Kauf genommene Risiko des jeweiligen Sports verwirklicht hat (§ 242 BGB). Auf dieser rechtlichen Grundlage kann die Haftung bejaht werden, wenn Versicherungsschutz besteht, insbesondere wenn dieser gerade auf die gefährliche Veranstaltung zugeschnitten ist.
Rz. 136
Die gleichen Erwägungen gelten für andere gefährliche Unternehmungen, bei denen alle Beteiligten das gleiche Risiko übernehmen oder sich freiwillig in Gefahr begeben. In den meisten dieser Fälle ist ein (vollständiger) Haftungsausschluss auch nach § 242 BGB nicht gerechtfertigt.
Rz. 137
Auch bei expliziter Gefahrexponierung kann in den meisten Fällen von einer bewussten Risikoübernahme mit der Folge eines vollständigen Haftungsausschlusses für den Schädiger nicht ausgegangen werden. Wer sich als Fahrgast einem als fahruntüchtig erkannten Fahrer eines Kfz anvertraut, erklärt damit noch nicht eine rechtfertigende Einwilligung in Körperverletzungen, die der Fahrer verursacht; ob und ggf. inwieweit dem Geschädigten eine Mitverantwortung vorzuwerfen ist, richtet sich nach § 254 BGB. Im Bereich der Tierhalterhaftung führt der Umstand, dass sich der Geschädigte aus freien Stücken der besonderen Gefahr des Reitens ausgesetzt hat, nicht zur Verneinung der Haftung des Tierhalters unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr, zumal es sich hier um einen Fall der Gefährdungshaftung handelt. Hinsichtlich der Schädigung eines Schiedsrichters bei einem Pferdekutschenunfall anlässlich eines Geländefahrturniers hat der BGH ausgeführt: Der Umstand, dass sich der Geschädigte der Gefahr selbst ausgesetzt habe, könne regelmäßig erst bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile nach § 254 BGB Berücksichtigung finden und übrigens auch hier im Ergebnis dazu führen, dass der Verursachungsbeitrag des Tierhalters völlig zurücktrete. Doch seien auch Sachverhalte denkbar, bei denen die Tierhalterhaftung bereits im Anwendungsbereich ausgeschlossen sei, weil deren Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstoße. Ob unter dem Blickpunkt des selbstwidersprüchlichen Verhaltens die Haftung des Tierhalters von vornherein entfalle, könne nur nach einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Danach haben die Tatrichter ausreichend Spielraum, um – zugeschnitten auf den Einzelfall – zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen. Auf eine allgemeine Regel, nach der man die Haftungsfrage bei derartigen Fallgestaltungen generalisierend beurteilen könnte, hat der BGH zu Recht verzichtet. Dass es insoweit zu unterschiedlichen Bewertungen kommt, ist nicht zu vermeiden. Festzustellen ist, dass im Bereich der Tierhalterhaftung ein vollkommener Haftungsausschluss häufig bejaht wird.