Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1249
Wer abbiegen will, muss dies nach § 9 Abs. 1 StVO rechtzeitig und deutlich ankündigen und die Fahrtrichtungsanzeiger benutzen. § 9 StVO regelt verschiedene Einzelheiten des Abbiegens; u.a. muss derjenige, der abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen (Abs. 3 S. 1, 1. Hs.). Beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren muss sich der Fahrer darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss er sich einweisen lassen (Abs. 5).
Rz. 1250
Diese Manöver tragen die Gefahr der Richtungsänderung in den allgemeinen Verkehr. Bei einer Kollision tritt deshalb Alleinhaftung desjenigen ein, der ein solches Fahrmanöver unternimmt, wenn nicht auf der anderen Seite ebenfalls erhebliche Fahrfehler, z.B. verspätete Reaktionen, Beleuchtungsmängel sowie Geschwindigkeitsüberschreitungen vorliegen oder bautechnische Besonderheiten des Kraftfahrzeuges und örtliche Gegebenheiten mitwirken. In solchen Fällen spricht oft der Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verursachung. Dieser Anscheinsbeweis ist jedoch schon nach allgemeinen Grundsätzen nie auf das Alleinverschulden gerichtet. Beim Abbiegen, vornehmlich beim Linksabbiegen, ist stets zu prüfen, ob sich nicht auch der Gegner in einem Fahrvorgang mit besonderer Gefahr befand, z.B. beim Überholen.
Rz. 1251
Beim Rückwärtsausparken auf eine Straße fährt der Fahrer zugleich rückwärts und auf eine Straße ein, er hat die sich aus §§ 9 Abs. 5 StVO, 10 S. 1 StVO ergebenden Sorgfaltspflichten zu beachten und sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. "Anderer Verkehrsteilnehmer" ist jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält. Dazu gehört auch derjenige, der auf der anderen Straßenseite selbst ein Fahrmanöver durchführt, um vom Fahrbahnrand anzufahren.
Rz. 1252
Blockiert jemand beim Wenden den Fahrweg des fließenden Verkehrs, kann dies einen so schwerwiegenden Verkehrsverstoß begründen, dass die Betriebsgefahr des gefährdeten Fahrzeuges zurücktritt. Allerdings trifft denjenigen, der das Wendemanöver eines anderen erkennt, das Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO. Wer durch ein grob verkehrswidriges Wendemanöver trotz durchgezogener Linie und Sperrflächen und trotz Gegenverkehrs die entgegenkommenden Fahrzeuge zu einer Notbremsung zwingt, trägt regelmäßig die überwiegende Verantwortung – hier zu ¾ – für den Schaden, den ein entgegenkommender Kradfahrer dadurch erleidet, dass er infolge zu geringen Sicherheitsabstandes und wegen eines Bremsfehlers zu Fall kommt.
Rz. 1253
Kollidiert ein Pkw, dessen Fahrer sich mit eingeschaltetem Fahrtrichtungsanzeiger zur Mittellinie hin eingeordnet hatte, beim Linksabbiegen zur Ausführung eines Wendemanövers mit einem links überholenden Motorrad, so ist eine Haftungsverteilung von 75 % zu 25 % zu Lasten des Motorradfahrers angemessen.
Rz. 1254
Muss der fließende Verkehr mit gefahrträchtigen Fahrmanövern dieser Art rechnen, sind allerdings auch zu seinen Lasten überwiegende Haftungsquoten denkbar. Fährt der Bevorrechtigte auf ein erkennbar rückwärts in eine Parkfläche einparkendes Fahrzeug auf, trifft ihn die überwiegende Haftung. In Betracht kommt je nach Lage des Einzelfalls auch die volle Haftung. Denjenigen, der nach links in eine Einfahrt einbiegen und dort wenden möchte, trifft grundsätzlich die doppelte Rückschaupflicht.
Rz. 1255
Von der Verpflichtung zur zweiten Rückschau kann er allerdings dann enthoben sein, wenn ein Linksüberholen im besonderen Maß verkehrswidrig wäre und aus diesem Grund so fernliegt, dass sich der nach links Abbiegende auch unter Berücksichtigung der ihn treffenden gesteigerten Sorgfaltspflicht auf eine solche Möglichkeit nicht einzustellen braucht. Dies kann der Fall sein, wenn ein voranfahrendes Fahrzeug in engem räumlichen Nebeneinander von Parkplatzein- und -ausfahrten seine Geschwindigkeit deutlich reduziert, den Blinker nach links setzt und der zwei Fahrzeuge hinter diesem Fahrzeug Fahrende trotz unklarer Verkehrslage und bei einem durch Verkehrszeichen angeordneten Überholverbot die beiden vor ihm fahrenden Fahrzeuge zu überholen versucht.
Rz. 1256
Ist der Linksabbieger nach § 38 Abs. 1 S. 2 StVO verpflichtet, ein mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn fahrendes Polizeifahrzeug passieren zu lassen, entscheidet sich aber, noch schnell vor diesem nach links auf einen Parkplatz einzufahren, kann eine hälftige Schadensquotelung in Betracht kommen, wenn der Fahrer des Sonderrechtsfahrzeugs sich nicht ausreichend davon überzeugt hat, dass der andere Verkehrsteilnehmer (mit gesetztem Blinker) ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt hat, vorbeizufahren, der Linksabbieger das Sonderrechtsfahrzeug aber hätte sehen können und müssen.
Rz. 1257
Genügt ein Linksabbieger seiner Wartepflicht aus § 9 Abs. 3 S. 1 StVO nicht und kollidiert er mit dem Gegenverkehr, dann hat er in der Regel, wenn ...