Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 545
§ 827 BGB
Wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustand widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist.
I. Anwendungsbereich
Rz. 546
Die Vorschrift drückt den allgemeinen Rechtsgedanken aus, dass die fehlende willentliche Steuerung des eigenen Handelns die Verantwortlichkeit für Schäden ausschließt. Die Fassung des § 827 BGB knüpft an die damalige Vorschrift des § 51 StGB an, wonach eine strafbare Handlung nicht vorhanden sei, wenn der Täter "zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewusstlosigkeit" befand.
Rz. 547
Anwendbar ist die Norm auf alle Fälle der verschuldensabhängigen Haftung, nicht nur auf die in den §§ 823 ff. geregelten Falle der unerlaubten Handlung, sondern auch bei der Vertragshaftung im Rahmen des Mitverschuldens, weshalb § 276 Abs. 1 S. 2 BGB ausdrücklich hierauf verweist; sie gilt ferner im Rahmen des § 254 BGB. Ohne Bedeutung ist § 827 dagegen für Haftungstatbestände, die kein Verschulden voraussetzen (Gefährdungshaftung; etwa §§ 1 und 2 HaftPflG) und für die verschuldensunabhängige Verantwortlichkeit des Störers im öffentlichen Recht. In diesen Fällen besteht keine Entlastungsmöglichkeit nach § 827 BGB.
Rz. 548
§ 827 BGB ist im Rahmen des Versicherungsvertragsrechts für die subjektiven Risikoausschlüsse gemäß § 81 VVG (= § 61 VVG a.F.) entsprechend anwendbar.
II. Geisteskranke
Rz. 549
Gemäß § 827 BGB ist derjenige, der im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, dafür nicht verantwortlich (vgl. § 104 Nr. 2 BGB). Durch krankhafte Störung ausgeschlossen ist die freie Willensbestimmung, wenn der Schädiger nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen.
Rz. 550
Aus dieser Regelung ergibt sich, dass bei Geisteskranken die Verantwortlichkeit gegeben ist, wenn sie in einem lichten Moment handeln. § 827 BGB stellt eine Ausnahme zu der allgemein sich aus § 823 BGB ergebenden Verantwortlichkeit dar; die Beweislast obliegt deshalb demjenigen, der sich auf den Ausnahmefall einer Unzurechnungsfähigkeit bei der Schadensverursachung beruft, mithin in der Regel dem Schädiger. Da § 827 BGB den genannten Zustand im Augenblick der Schadenszufügung zur Voraussetzung des Schuldausschließungsgrundes gemacht hat, trifft auch Personen, die wegen Geisteskrankheit unter Betreuung stehen oder entmündigt sind, die Beweislast dafür, dass dieser Zustand gerade in dem maßgeblichen Zeitpunkt bestanden hat; bei ständiger Geisteskrankheit ist dies zu vermuten.
Rz. 551
Für eine Handlung im Sinne eines der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegenden und mithin beherrschbaren menschlichen Tuns als Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch obliegt hingegen die Darlegungs- und Beweislast dem Geschädigten.
Rz. 552
Der auf ein rein äußerliches Geschehen bezogene Handlungsbegriff der Rechtsprechung hat zugleich zur Folge, dass z.B. Notwehrmaßnahmen (§ 227 Abs. 2 BGB) auch gegenüber "Handlungen" eines ohnmächtigen Täters möglich sind, allerdings in dem eingeschränkten Umfang, wie dies bei erkennbar Schuldlosen geboten ist.