Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 810
§ 836 BGB ergänzt die Haftung für Verkehrspflichtverletzungen, die sich allgemein auf § 823 Abs. 1 BGB stützt. Er ist keine eigenständige Rechtsgrundlage, sondern setzt eine schuldhafte Verkehrspflichtverletzung voraus und kehrt für die dort genannten Sonderfälle lediglich die Beweislast um. Für Personen- und Sachschäden, die offensichtlich von Bauwerken ausgegangen sind, wird das Verschulden des Grundstücksbesitzers vermutet, der sich entlasten muss. Die Ausgestaltung der Norm als Haftung für eine Vermutung schuldhafter Pflichtverletzung beruht auf dem Rechtsgedanken, dass jeder für den durch seine Sachen verursachten Schaden einzustehen hat, soweit er ihn bei billiger Rücksichtnahme hätte verhüten müssen. § 836 Abs. 1 BGB geht von einer Rechtspflicht zur Sorge für die fehlerfreie Errichtung, zur Unterhaltung des Bauwerks und damit auch von einer solchen zur sorgfältigen und fortgesetzten Überwachung seines Zustands aus.
Rz. 811
Adressat dieser Pflicht ist der gegenwärtige oder frühere Eigenbesitzer (§ 836 Abs. 3 BGB). Eigenbesitzer (§ 872 BGB) ist, wer die tatsächliche Gewalt über das Grundstück mit dem Willen ausübt, es wie ihm gehörend zu beherrschen. Das sind in der Regel auch Vermieter und Verpächter. Das Eigentum oder der rechtmäßige Besitz sind nicht maßgebend. Die Haftung trifft den im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses aktuellen Eigenbesitzer. Der frühere Besitzer haftet nach § 836 Abs. 2 BGB innerhalb eines Jahres nach Besitzbeendigung. War der Erblasser Eigenbesitzer, wird es der Erbe ohne Weiteres. Mehrere gemeinschaftliche Eigenbesitzer haften als Gesamtschuldner gemäß § 840 Abs. 1 BGB.
Rz. 812
Ein Gebäude ist ein zum Aufenthalt von Menschen, Tieren oder Sachen bestimmtes Behältnis, das Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt, in der Intention hergestellt wurde, die Regeln der Baukunst oder der Erfahrung zu beachten, und mit dem Grund und Boden fest verbunden ist, selbst wenn es noch unvollendet oder bereits in den Verfall geraten ist.
Rz. 813
Ein Werk ist ein einem bestimmten Zweck dienender Gegenstand, der in Verbindung mit dem Erdkörper und nach den Regeln der Baukunst oder der Erfahrung hergestellt wurde.
Rz. 814
Beispiele für mit einem Grundstück verbundene Werke:
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Abwasserleitung, |
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Baugerüst, |
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Bauzaun, |
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Bierpavillon, |
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Böschung, |
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Brücke, |
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Carport, |
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Damm, |
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Fußgängertreppe, |
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Grabstein, |
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Hinweisschild, |
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Jagdhochsitz, |
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Kran, |
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Lichtmast, |
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Luftschutzanlagen, |
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Luftschutzstollen, |
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Makadamdecke auf einer Tankstelle, |
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Messezelt, |
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Rohrbrunnen, |
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Rohrleitung, |
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Schaukel, |
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Schleusenanlage, |
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Staudamm, |
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Steinkreuz, |
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Straßenlaterne, |
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Stromleitung, |
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Telefonmast, |
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unterirdisch verlegte Treibstoff- und Heizöltanks, |
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Verkaufsbude, |
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Verkehrsschild, |
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Zaun, |
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Zuschauertraggerüst im Zirkus. |
Rz. 815
Der Tatbestand des § 836 Abs. 1 BGB fordert den Einsturz eines Gebäudes oder eines mit einem Grundstück verbundenen Werks oder die Ablösung von Teilen des Gebäudes oder des Werks. Einsturz ist der unbeabsichtigte Zusammenbruch des Gebäudes oder des Werks infolge einer Lösung derjenigen Verbindungen, die es zusammenhalten, nicht aber ein Abriss nach Plan. Eine Ablösung von Teilen des Gebäudes oder Werks ist jede unwillkürliche Aufhebung der Verbindung zum Ganzen, die durch die sachgerechte Einfügung des Werkteils hergestellt worden ist; ferner eine Lockerung der Verbindung des Teiles in dem im Übrigen unversehrt bleibenden Ganzen oder das Zerbersten oder Einbrechen von Teilen des Bauwerks. Die Ablösung von Teilen ist auch gegeben, wenn die Teile nur durch ihre Schwerkraft dem Ganzen eingefügt waren.
Rz. 816
Als Teil eines Gebäudes oder Werks im Sinne des § 836 BGB sind in der Rechtsprechung anerkannt:
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Aufzug, |
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Balkonbrüstung, |
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Betondecken, |
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Dachbegrenzungsmauern, |
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frei stehende Dachgrenzmauer, |
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Dachrinne, |
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Dachteile, |
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Dachziegel, |
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Deckenputz, |
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mit dem Mauerwerk verbundene Duschkabine, |
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Fenster, |
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Fensterläden, |
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Fensterriegel, |
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Fensterscheiben, |
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Fußbodendurchbruch, |
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Garagentor, |
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unterirdische Leitungen, |
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Lichtschachtabdeckung, |
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Loggia, |
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Regenfallrohr, |
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Schaufensterscheibe, |
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Scheunentor, |
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Schornstein, |
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Steine, |
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Teerpappendachteile. |
Rz. 817
Typische Beispiele für das Ablösen von Teilen sind:
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Herabfallen von Dachziegeln, Kaminteilen, von Steinen, Putz- und Stuckteilen, |
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Bruch einer im Boden verlegten Abwasserleitung. |
Rz. 818
Keine Fälle der Ablösung von Teilen eines Werks sind:
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das Austreten von Gas aus einer gebrochenen Leitung, |
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das Absenken der Schützentafel einer Schleusenanlage, |
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das Austreten von Treibsto... |