Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1058
Die Haftungsinstitute des enteignungsgleichen und des enteignenden Eingriffs sowie der Aufopferung finden ihre innere Rechtfertigung in dem Gedanken des Billigkeitsausgleichs für durch hoheitliches Handeln erlittene Eingriffe in eigentumsrechtlich geschützte Positionen oder Einbußen an Immaterialgüterrechten (insbesondere Leib, Leben, Gesundheit und persönliche Freiheit). Das dem Betroffenen auferlegte Sonderopfer verlangt, ohne Rücksicht darauf, ob der Eingriff schuldhaft erfolgt ist, den Ausgleich seiner Folgen. Ansprüche aus enteignungsgleichem und enteignendem Eingriff können nur bei Verletzung einer eigentumsrechtlich geschützten Rechtsposition im Sinne des Art. 14 GG bestehen. Sie unterscheiden sich danach, ob das hoheitliche Handeln rechtswidrig ist, woraus eine Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff resultieren kann, oder rechtmäßig ist, aber ungewollte Nebenfolgen hat, die dann nach den Grundsätzen des enteignenden Eingriffs zu entschädigen sind.
Rz. 1059
Der Anspruch aus Aufopferung kommt bei hoheitlichen Eingriffen in Immaterialgüterrechte in Betracht, unabhängig davon, ob die schadensverursachenden Handlungen rechtswidrig oder rechtmäßig waren.
Rz. 1060
Die Haftungsinstitute des enteignungsgleichen und enteignenden Eingriffs sowie der Aufopferung gelten in ihrer richterrechtlichen Ausprägung als vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht fort, das auch vom Gesetzgeber anerkannt ist, wie sich aus der Rechtswegzuweisung in § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO ergibt. Der enteignungsgleiche und der enteignende Eingriff sind abzugrenzen von der Enteignung im Sinne des Art. 14 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG ein gezielter, konkret-individueller Zugriff auf das Eigentum durch einen Rechtsakt in Form einer Rechtsnorm oder eines Verwaltungsakts, der zu einer vollständigen oder mindestens teilweisen Entziehung konkreter subjektiver Eigentumspositionen führt. Eine Enteignung im Sinne dieses formalisierten Enteignungsbegriffs des Bundesverfassungsgerichts ist gemäß Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG nur durch oder aufgrund eines Gesetzes zulässig, das zugleich eine Entschädigung regeln muss (sog. Junktim-Klausel). Von der Enteignung zu unterscheiden sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Dabei kann eine Inhalts- und Schrankenbestimmung unter Umständen den Betroffenen in so hohem Maße belasten, dass sie auch unter Berücksichtigung der Sozialgebundenheit des Eigentums vom Betroffenen nicht mehr hingenommen werden muss und deswegen in bestimmten Fällen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur dann in Einklang gebracht werden kann, wenn ein Ausgleichsanspruch eine Abmilderung der Belastung ermöglicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat eine Regelung, die Inhalt und Schranken des Eigentums festlegt, auch dann keinen enteignenden Charakter, wenn sie im Einzelfall die Eigentümerbefugnisse über das verfassungsrechtlich zulässige Maß hinaus einschränkt. Eine verfassungswidrige Inhaltsbestimmung stellt nicht zugleich einen "enteignenden Eingriff" im verfassungsrechtlichen Sinne dar und kann auch wegen des unterschiedlichen Charakters von Inhaltsbestimmung und Enteignung nicht in einen solchen umgedeutet werden.