Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 823
Die Hauptbedeutung des § 836 BGB liegt in der Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten. Dieser muss zunächst beweisen, dass ihm infolge eines Gebäudeeinsturzes oder der Lösung von Gebäudeteilen ein Schaden entstanden ist; ferner den früheren oder gegenwärtigen Eigenbesitz des Inanspruchgenommenen. Für den ihm ebenfalls obliegenden Nachweis, dass das Gebäude oder ein baulicher Bestandteil des Gebäudes in einem objektiv mangelhaften Zustand war und das schädigende Ereignis hierauf beruht, hilft ihm der Anscheinsbeweis. Da ordnungsgemäß errichtete und unterhaltene Bauwerke normalerweise weder einstürzen noch Teile verlieren, beweist nach der Lebenserfahrung der Einsturz des Gebäudes oder die Loslösung von Gebäudeteilen grundsätzlich, dass die bauliche Anlage entweder fehlerhaft errichtet oder mangelhaft unterhalten war. Das ist jedoch dann nicht der Fall, wenn ein außergewöhnliches Naturereignis vorliegt, dem auch ein fehlerfrei errichtetes oder sorgfältig unterhaltenes Werk nicht standzuhalten vermag.
Rz. 824
Ist dieser Beweis erbracht, wirkt die Verschuldensvermutung des § 836 Abs. 1 S. 1 BGB. Hiernach wird widerleglich vermutet, dass den Eigenbesitzer ein Verschulden an der fehlerhaften Errichtung oder der mangelhaften Unterhaltung des Gebäudes oder Werks trifft, weil er es unterlassen hat, die zur Abwendung der Gefahr im Verkehr erforderlichen Sorgfaltsmaßnahmen zu treffen. Gegenüber dieser Vermutung obliegt dem Grundstücksbesitzer nach § 836 Abs. 1 S. 2 BGB der Entlastungsbeweis dafür, dass er die zum Zwecke der Abwendung der Gefahr im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre. An diese Beweisführung werden hohe Anforderungen gestellt.
Rz. 825
Der derzeitige Eigenbesitzer hat nachzuweisen, dass er bei der Errichtung des Gebäudes die erforderliche Sorgfalt angewendet hat. Dieser Sorgfaltspflicht ist in der Regel genügt, wenn der Besitzer die Arbeit tüchtigen und zuverlässigen Fachkräften überträgt. Zu eigenem Eingreifen ist der Besitzer nur dann verpflichtet, wenn ihm Gefahren sichtbar geworden sind bzw. ihm schädigende Auswirkungen der Handlungsweise des Beauftragten nicht entgehen konnten. An einer fehlenden Baugenehmigung eines eingestürzten Bauwerks scheitert regelmäßig der Entlastungsbeweis.
Rz. 826
Der verkehrserforderlichen Sorgfaltspflicht bei der Unterhaltung des Gebäudes ist genügt, wenn der Besitzer – seiner Rechtspflicht zur Unterhaltung des Bauwerks und sorgfältigen und fortgesetzten Überwachung dessen Zustands entsprechend – für die regelmäßige Überprüfung des baulichen Zustands durch sachverständige Personen und für die Behebung bauordnungswidriger Zustände sorgt. Hierbei ist auf die Sicherungserwartungen des Verkehrs abzustellen und die im Verkehr zur Gefahrenabwehr erforderliche Sorgfalt zu beachten. Die Anforderungen hieran hängen von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von Lage, Alter und Beanspruchung des Gebäudes ab. Je älter das Gebäude ist, umso höher sind die Anforderungen an die Überprüfung. Dem Publikumsverkehr dienende Gebäude, etwa Gaststätten, Hotels oder Pensionen, erfordern besondere Sorgfalt.
Rz. 827
Der frühere Grundstücksbesitzer haftet nach § 836 Abs. 2 BGB (gegebenenfalls mit dem derzeitigen Eigenbesitzer als Gesamtschuldner nach § 840 BGB) für innerhalb eines Jahres nach Besitzaufgabe verursachte Schäden nur dann nicht, wenn er die verkehrserforderliche Sorgfalt angewendet hat. Insoweit gelten die gleichen Maßstäbe wie unter Rdn 825, 826 ausgeführt. Seine Haftung ist ferner ausgeschlossen, wenn der aktuelle Eigenbesitzer die Gefahr durch Beobachtung dieser Sorgfalt hätte abwenden können.
Rz. 828
Die ihnen obliegenden Beweise haben die Besitzer gemäß § 286 ZPO mit dem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit zu führen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese indes völlig auszuschließen.