Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
1. Tierbegriff
Rz. 756
§ 833 BGB erfasst die Schadensverursachung durch ein Tier. Eine Legaldefinition des Begriffs Tier fehlt, obwohl das Tier in mannigfachen gesetzlichen Vorschriften, etwa Art. 20a GG, §§ 90a S. 1, 833, 834, 903 S. 2, 960 BGB, §§ 1 ff. TierSchG, § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BNatSchG behandelt wird. Der Begriff wird im juristischen Schrifttum überwiegend naturwissenschaftlich-biologisch definiert. Zweifellos gehören zu den Tieren höher entwickelte Lebewesen, die mit Sinneswerkzeugen und einem Nervensystem ausgestattet sind, wie etwa Bienen, Fische, Mäuse, Katzen, Hunde, Schweine, Rinder und Pferde. Mikroorganismen (Pilze, einzellige Pflanzen, Urtierchen und Bakterien) und Viren sind nach herrschender Meinung keine Tiere in diesem Sinne. Eine erweiternde Auslegung des Tierbegriffs auf Mikroorganismen erscheint im Hinblick auf den auf der allgemeinen Sprachverwendung ruhenden Wortlaut, der Entstehungsgeschichte der Norm sowie des Ausnahmecharakters einer Gefährdungshaftung gegenüber der grundsätzlichen Verschuldenshaftung nicht geboten. Inzwischen sind spezielle Haftungs- und Entschädigungsbestimmungen entstanden, die die hierauf beruhende Gefahr berücksichtigen (§ 32 GenTG, § 56 IfSG, § 15 TierGesG).
Für Wildschäden besteht keine Tierhalterhaftung, weil Wildtiere herrenlos sind (§ 960 Abs. 1 S. 1 BGB). Deshalb bestimmte der frühere § 835 BGB gesondert neben der Tierhalter- und Tierhüterhaftung, dass der Jagdberechtigte dem Grundstückseigentümer auf Ersatz des durch jagdbares Wild verursachten Schadens haftet. Diese Norm ist bereits 1952 entfallen. Nunmehr bestehen mit den §§ 29–35 BJagdG spezielle Haftungsbestimmungen. Die Haftung hieraus trifft den Jagdausübungsberechtigten, meist den Jagdpächter.
2. Haftungsbegründende Kausalität
Rz. 757
Die Tierhalterhaftung setzt voraus, dass der Tod, die Verletzung des Körpers oder der Gesundheit eines Menschen oder die Sachbeschädigung durch ein Tier verursacht worden ist. Hierbei genügen nach den allgemeinen Grundsätzen unmittelbare wie mittelbare Kausalität für die Schadensverursachung. Der Schaden muss also nicht unmittelbar durch ein Tier verursacht worden sein; die mittelbare Mitverursachung genügt.
Rz. 758
Eine Mitverursachung in diesem Sinne liegt etwa vor, wenn eine ältere Frau aus Angst stürzt, weil ein großer Hund schwanzwedelnd auf sie zuläuft; generell, wenn ein Mensch durch das Verhalten eines Tieres in Angst und Schrecken versetzt wird und sich bei einer anschließenden Fluchtreaktion verletzt. Schreckens- und Fluchtreaktionen des Geschädigten unterbrechen deshalb – entsprechend den Grundsätzen der Herausforderungsfälle – den Kausalzusammenhang regelmäßig nicht. Besonders eigenartige, unwahrscheinliche und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassende Umstände begründen indes keine zuzurechnende Mitverursachung, etwa der Herzinfarkt wegen der Rauferei unter Hunden.
3. Typische Tiergefahr
Rz. 759
Die Beschränkung der Ersatzpflicht des Schädigers auf Schäden, die in den Schutzbereich der verletzten Norm fallen, entspricht einem Grundprinzip des heutigen Schadensersatzrechts und ist für Schadensersatzansprüche aller Art anerkannt. Deshalb betrifft die Tierhalterhaftung nur solche Fälle, in denen sich eine typische Tiergefahr realisiert hat. Die typische Tiergefahr äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres. Trotz der hieran in der Literatur geäußerten Kritik besteht kein G...