Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 553
§ 827 S. 2 BGB stellt klar, dass derjenige, der unter dem Einfluss geistiger Getränke (das sind Alkoholika) in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ebenso für die schädlichen Folgen der begangenen unerlaubten Handlung verantwortlich ist, als wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fällt. Das gilt jedenfalls, wenn er nicht schuldlos in diesen Zustand geraten ist. Damit scheidet eine Haftung wegen Vorsatzes aus, obzwar die Einnahme der geistigen Getränke regelmäßig bewusst geschieht, nicht aber die Schadenszufügung selbst. Deshalb besteht zivilrechtliche Verantwortlichkeit nur dann, wenn die begangene unerlaubte Handlung auch bei fahrlässiger Begehung – wie regelmäßig im Falle des § 823 Abs. 1 BGB – zum Ersatz verpflichtet, nicht hingegen für Handlungen, die Vorsatz voraussetzen, wie das beispielsweise bei einer Haftung nach § 826 BGB der Fall ist.
Rz. 554
Die Vorschrift schließt nicht aus, dann Vorsatz anzunehmen, wenn der Betreffende den Entschluss zur Durchführung der Tat vorher gefasst hat und sich nunmehr bewusst zur Unterdrückung seiner Hemmungen betrinkt (actio libera in causa). Ebenfalls haftet derjenige, der sich in einer Gaststätte betrinkt und seinen Wagen vor der Tür abgestellt hat, für die Folgen eines im volltrunkenen Zustand verursachten Unfalls nach den allgemeinen Grundsätzen der (fahrlässigen) actio libera in causa, weil er mit der Benutzung seines Wagens rechnen musste.
Rz. 555
Die Haftung entfällt andererseits, wenn der Schädiger ohne sein Verschulden in den Zustand geraten ist, d.h. wenn ihm Alkohol gegen seinen Willen von einem anderen eingeflößt wird oder wenn er die berauschende Wirkung des Getränkes nicht gekannt hat und auch nicht erkennen musste, wofür ihn jedoch die Beweislast trifft. Abgesehen von diesen seltenen Ausnahmefällen tritt bei der Verursachung von Unfällen nach Alkoholgenuss Fahrlässigkeitshaftung ein, wobei die Kausalität zwischen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit und Unfall regelmäßig im Wege des Anscheinsbeweises angenommen wird (s. oben Rdn 226).
Zur Billigkeitshaftung bei (Mit-)Verursachung eines Schadens durch infolge § 827 BGB nicht Verantwortliche vgl. Rdn 596 ff.
Rz. 556
Auch durch Unfallschock können die Voraussetzungen des § 827 BGB erfüllt sein. Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit kann auch dann vorliegen, wenn der Schädiger unter abnormen Erlebnisreaktionen leidet oder sich im Zustand äußerster Erregung befindet.
Rz. 557
Auf die Konstellation des Unterlassens der Medikamenteneinnahme, durch die der Eintritt eines unzurechnungsfähigen Zustandes vermeidbar gewesen wäre, ist § 827 S. 2 seinem Wortlaut nach jedoch nicht direkt, sondern entsprechend anwendbar. Hierbei muss der Schädiger den Behandlungsabbruch vorsätzlich oder fahrlässig vorgenommen haben. Die Beweislast hierfür liegt beim Geschädigten.
Rz. 558
Als den geistigen Getränken "ähnliche Mittel" nach Maßgabe des § 827 S. 2 BGB gelten Drogen, andere Rauschmittel und Medikamente jeder Art, die den Ausschluss der freien Willensbestimmung – jedenfalls mitursächlich – bewirken.
Rz. 559
Die Bewusstlosigkeit bildet einen Fall der Zurechnungsunfähigkeit nach § 827 BGB. Bewusstlosigkeit kann auch bei einem Herzinfarkt oder einem Insulin-Schockzustand vorliegen. In derartigen Fällen ist aber stets zu prüfen, ob der Schädiger im Hinblick auf den Eintritt des Zustandes der Bewusstlosigkeit fahrlässig – durch Einnahme geistiger Getränke oder "ähnlicher Mittel" – gehandelt hat. Fahrlässigkeit würde z.B. vorliegen, wenn ein Diabetiker die vorgesehenen ärztlichen Kontrollen verabsäumt und sich ans Steuer gesetzt hat, obgleich er damit rechnen musste, dass möglicherweise während der Fahrt Bewusstseinsstörungen auftreten würden. Beim Diabetiker kann verhältnismäßig geringer Alkoholgenuss in Verbindung mit seiner Krankheit zur Fahruntüchtigkeit führen. Daher trifft ihn eine erhöhte Sorgfaltspflicht.
Rz. 560
Eine Bewusstlosigkeit wird nicht selten dadurch hervorgerufen, dass Medikamente und Alkohol zusammen eingenommen werden. In diesen Fällen kann sich der Schädiger zu seiner Entlastung zwar darauf berufen, er habe die berauschenden Eigenschaften des Getränks oder Stoffs weder erkannt noch erkennen müssen. Dieser Einwand wird aber nur unter außergewöhnlichen Umständen durchgreifen. Denn nach allgemeiner Erfahrung darf niemand auf seine gesteigerte Alkoholverträglichkeit vertrauen; auch die Wechselwirkung von Alkohol mit anderen Rauschmitteln ist heutzutage allgemein bekannt. Kraftfahrern kann abverlangt werden, dass sie sich anhand des dem Medikament beigefügten Beipackzettels vergewissern, ob Alkoholverträglichkeit gegeben ist.
Rz. 561
Von erheblicher praktischer Bedeutung ist § 827 BGB im Rahmen des Versicherungsvertragsrechts. § 827 S. 1 BGB gilt im Rahmen der (früheren) §§ 152 VVG und § 3 Nr. 1 PflVG und ist für die praktisch bedeu...