Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1348
Im Grundsatz wird durch Tiere eine verkehrsfremde Gefahr in den Fahrbahnbereich getragen. Deshalb wird wegen einer solchen von außen kommenden Störung des Verkehrsflusses die Tiergefahr bei der Abwägung oft besonders Gewicht haben. Beruht dies auf einem Verschulden des Tierhalters oder Tierführers, kann die einfache Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges zurücktreten. Die Abwägung nach § 17 StVG muss auch hier die Einzelumstände besonders berücksichtigen. So kann es vor allem von Bedeutung sein, ob auf Seiten des Kraftfahrers ein Reaktionsverschulden vorliegt, ob die Tiere selbst am Verkehr teilnehmen (Reiter, Gespann) und ob nach den äußeren Umständen auch sonst mit solchen Gefahren zu rechnen war.
Rz. 1349
Ein Pkw-Fahrer, der sich auf einer Kreisstraße außerhalb einer geschlossenen Ortschaft einer sich in seine Fahrtrichtung am rechten Fahrbahnrand bewegenden Reiterin mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h nähert, muss vorsorglich weit nach links in die freie Gegenfahrbahn ausweichen und seine Geschwindigkeit reduzieren, um mögliche Irritationen des Pferdes zu vermeiden (im konkreten Fall Haftungsquote 2:1 zu Lasten des Pkw-Fahrers). Kann dem Führer eines Fahrzeugs hingegen kein Fahrfehler nachgewiesen werden, dann wiegt die Tiergefahr eines Pferdes, das sich im Bereich einer Kurve während der Vorbeifahrt eines Lkw-Gespanns in den von dem Anhänger beanspruchten Raum hineindreht, doppelt so schwer wie die ungesteigerte Betriebsgefahr des Anhängers. Die Betriebsgefahr eines Traktors mit Anhänger, der unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO auf einem Wirtschaftsweg 25 km/h schnell und unnötig nah an einer entgegen kommenden Person vorbei gefahren wird, wodurch einer der von dieser Person geführten Hunde verletzt wird, hat doppelt so viel Gewicht wie die ungesteigerte Tiergefahr des verletzten Hundes. Nähert sich ein Pkw-Fahrer innerhalb einer geschlossenen Ortschaft einer Reitergruppe (hier zwei Pferde) mit erhöhter Geschwindigkeit (hier 64 km/h) und muss er eine Vollbremsung vornehmen, so reduziert sich die Tierhalterhaftung auf 20 %, wenn ein Pferd aufgrund des Fahrverhaltens des Pkw-Fahrers scheut und mit der Hinterhand in die Fahrbahn ausbricht.
Rz. 1350
Bei der Kollision eines Kraftfahrzeuges mit Tieren, die aus einer umzäunten Weide ausgebrochen sind, haftet der Tierhalter allein oder zu 80 %, wenn das Ausbrechen der Tiere auf mangelnder Hütesicherheit der Einzäunung beruht und dem Fahrzeugführer kein Fahrfehler nachzuweisen ist. Die nach § 833 BGB zu verantwortende Tiergefahr kann auch dann noch doppelt so hoch anzusetzen sein wie die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges, wenn Letztere durch unaufmerksame Fahrweise gesteigert ist. Die Schadensabwägung bei einem Zusammenstoß von einem Pkw und Rindern, die nach Ausbruch aus der Weide dem Pkw entgegentraben, ergibt ebenfalls, dass der von den Rindern ausgehende Verursachungsbeitrag deutlich höher ist, hier: 1:2. Kollidiert ein Kradfahrer mit einer auf eine Landstraße springenden Kuh, die schon von weitem auf dem Randstreifen sichtbar war, kommt eine Haftungsverteilung von 2:1 zugunsten des Kraftfahrzeughalters in Betracht. Beruht der Unfall darauf, dass der Pkw-Fahrer auf einem Wirtschaftsweg im Außenbereich entweder nicht auf Sicht oder unachtsam gefahren ist, dann kann hälftige Schadensteilung sachgerecht sein.
Rz. 1351
Kommt ein Hund am linken Rand einer stark befahrenen Bundesstraße einem Pkw entgegen und läuft er unmittelbar vor diesem auf die Fahrbahn, so braucht sich der Pkw-Halter auf seinen Schadensersatzanspruch gegen den Hundehalter weder Mitverschulden noch Betriebsgefahr anrechnen zu lassen. Das Verschulden des Hundehalters rechtfertigt seine Mithaftung im Umfang von einem Drittel gegenüber der überwiegenden Haftung eines Autofahrers, der 100 km/h statt erlaubter 50 km/h fährt, aufgrund des am Fahrbahnrand auftauchenden Hundes ausweicht und dann ins Schleudern gerät.
Rz. 1352
Ereignet sich ein Auffahrunfall, weil der Fahrer des voraus fahrenden Fahrzeugs wegen auf die Fahrbahn laufender Tiere (Pferde) eine Vollbremsung unternimmt, so ergibt die Abwägung trotz des gegen den Auffahrenden sprechenden Anscheinsverschuldens eine Schadensteilung im Verhältnis von 40 zu 60 zu Ungunsten des Tierhalters bzw. hälftige Schadensteilung zwischen dem Auffahrenden und dem Halter eines Hundes, der auf die Fahrbahn gelaufen war.