Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 772
Die Rechtsprechung geht verschiedene Wege, um die Gefährdungshaftung auszuschließen oder zu begrenzen. So soll neben einem (auch konkludenten) vertraglichen Haftungsausschluss die Haftung entfallen bei freiwilliger Übernahme besonderer Tiergefahren (Handeln auf eigene Gefahr). Zu berücksichtigen sind ferner die gesetzlichen Haftungsprivilegien der §§ 2, 104 SGB VII.
1. Handeln auf eigene Gefahr
Rz. 773
Die Rechtsfigur des Handelns auf eigene Gefahr dient bei der Gefährdungshaftung dazu, diese Haftung in solchen Fällen auszuschließen, in denen sie nach dem Normzweck als unangemessen erscheint, weil der Schaden nicht der Gefahr des Tieres, sondern dem Handeln des Geschädigten selbst zuzurechnen ist. Der BGH hat die vollständige Haftungsfreistellung des Tierhalters unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erwogen, etwa wenn der Geschädigte sich mit der Übernahme eines Pferdes oder der Annäherung an ein solches bewusst einer besonderen Gefahr aussetzt, die über die normalerweise mit dem Reiten oder der Nähe zu einem Pferd verbundenen Gefahr hinausgeht. Das Bewusstsein der besonderen Gefährdung ist dabei stets Voraussetzung für die Annahme des Handelns des Geschädigten auf eigene Gefahr. Ob unter diesem Blickpunkt die Haftung des Tierhalters von vornherein entfällt, kann nur nach einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden.
Rz. 774
Handeln auf eigene Gefahr im Rechtssinne liegt vor, wenn sich jemand in eine Situation drohender Eigengefährdung begibt, obwohl er die besonderen Umstände kennt, die für ihn eine konkrete Gefahrenlage begründen, ohne dass dafür ein triftiger – rechtlicher, beruflicher oder sittlicher – Grund vorliegt. Denn die Grundlage eines Haftungsausschlusses wegen Handelns auf eigene Gefahr ist der Grundsatz von Treu und Glauben und das sich hieraus ergebende Verbot widersprüchlichen Handelns. Nach diesen Maßstäben ist Handeln auf eigene Gefahr für Personen auszuschließen, die – wie etwa Tierärzte, Hufschmiede oder Bereiter – sich der Tiergefahr aus beruflichen Gründen vorübergehend aussetzen, ohne die vollständige Herrschaft über das Tier zu übernehmen. Denn hierin liegt ein triftiger Grund.
Rz. 775
Eine solche besondere Gefahr übernimmt nach der Rechtsprechung etwa der Reiter, wenn
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das Pferd erkennbar böser Natur ist, |
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erst zugeritten werden muss oder |
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wenn der Ritt besonderen Gefahren unterliegt, wie es beim Springreiten (oder bei der Fuchsjagd) der Fall sein kann; |
ferner ein Geschädigter, der
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sich als Zoobesucher trotz Warnbeschilderung in ein Affenfreigehege begibt, |
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sich als unbemerkter Besucher in den Herrschaftsbereich eines Hundes (Wohnstube) begibt und dort gebissen wird, |
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eine eingezäunte Weide mit einem nicht angepflockten Jungbullen betritt, |
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ein Grundstück unter Nichtbeachtung eines Warnschildes vor einem bissigen Hund betritt. |
Rz. 776
Die von der Rechtsprechung vorgenommene Abgrenzung der freiwilligen Übernahme einer besonderen Tiergefahr in Kenntnis der drohenden Eigengefährdung (mögliche Folge ist der Haftungsausschluss nach § 833 S. 1 BGB) von der bewussten und freiwilligen Übernahme allgemeiner Tierrisiken, welche die Haftung unberührt lässt und nur im Fall vorwerfbarer Fehler des Geschädigten über § 254 BGB Berücksichtigung findet, ist in der Praxis nicht immer einfach. Es erscheint jedenfalls nicht zwingend, ein in Ausbildung befindliches Pferd oder ein Pferd, das zugeritten werden muss, aus der Tierhalterhaftung auszunehmen. Auch das Risiko des Springreitens muss keinesfalls höher als dasjenige eines Ausritts sein. Das gilt gleichermaßen für Reitturniere und Hundeprüfungen. Denn all diese Maßnahmen dienen gerade der Verringerung der typischen Tiergefahr, indem sie die sachgerechte Ausbildung sowohl des Tieres als auch des mit ihm beschäftigten Menschen verbessern.