Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 803
In der Praxis stellt sich – abgesehen von den Fällen der mitwirkenden Tiergefahr anderer Tierhalter (siehe oben Rdn 768) und des Haftungsausschlusses wegen Handelns auf eigene Gefahr (siehe oben Rdn 773 f.), dessen Umstände regelmäßig erst bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile nach § 254 BGB berücksichtigt werden – die Frage des Mitverschuldens und der Haftungsabwägung häufig in zwei Konstellationen: einerseits im Verhältnis des Tierhalters zum Tierhüter und andererseits im Verhältnis Tierhalter/Tierhüter zu Dritten, insbesondere Kraftfahrzeughaltern.
1. Verhältnis Tierhalter/Tierhüter
Rz. 804
Der geschädigte Tierhüter fällt grundsätzlich unter den Schutzbereich des § 833 BGB. Nimmt der geschädigte Tierhüter den Tierhalter in Anspruch, steht dem Tierhalter der Einwand des Mitverschuldens nach § 254 BGB zu. Hierfür können jedoch nur vorwerfbare Fehler berücksichtigt werden. Die Mitverschuldensprüfung muss sich am Haftungsmaßstab des § 834 BGB orientieren. Danach muss derjenige, der die Obhut über ein Tier übernommen hat, die Vermutung gegen sich gelten lassen, dass ihn ein Verschulden trifft und dieses Verschulden für den Schaden ursächlich geworden ist. Gelingt dem Tierhüter der ihm insoweit obliegende Entlastungsbeweis nicht, sind die beiderseitigen Haftungsanteile entsprechend § 254 BGB zu gewichten. In der Regel ist von einer hälftigen Schadensteilung auszugehen. Das Verhalten Minderjähriger ist entsprechend zu berücksichtigen.
Rz. 805
Erleidet das Tier selbst einen Schaden, muss der Tierhalter (Eigentümer) als Anspruchsteller dem Tierhüter grundsätzlich eine (vertragliche) Pflichtverletzung nachweisen (§ 280 Abs. 1 BGB). Entstammt die Schadensursache jedoch dem alleinigen Gefahren- und Verantwortungsbereich des Tierhüters und rechtfertigt die Sachlage den Schluss, dass dieser die ihm obliegenden Sorgfalt verletzt hat, muss sich der Tierhüter vom Vorwurf der Pflichtverletzung entlasten.
2. Verhältnis Tierhalter/Tierhüter zum Kraftfahrzeughalter
Rz. 806
Nach § 17 Abs. 4 StVG sind die in den Abs. 1–3 enthaltenen Regelungen zur Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge entsprechend anzuwenden, wenn der Schaden durch ein Kraftfahrzeug und ein Tier verursacht wird. Das bedeutet: Für die Schadensersatzpflicht ist die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs nach § 7 StVG, die den Fahrzeughalter trifft, gegen die Tiergefahr nach § 833 BGB, die den Tierhalter trifft, abzuwägen. Gemäß § 17 Abs. 1 StVG hängt dabei die Ersatzpflicht der beteiligten Fahrzeug- und Tierhalter gegenüber Dritten und im Verhältnis untereinander (§ 17 Abs. 2 StVG) von den Umständen, insbesondere davon ab, wessen Verursachungsanteil überwiegt. Ist kein Verkehrs- oder Sorgfaltsverstoß eines der Beteiligten nachweisbar, gilt für die Abwägung der Verursachungsanteile lediglich die Betriebs- und Tiergefahr. Allerdings wird dabei in der Regel die Tiergefahr deutlich überwiegen, weil sich Fahrzeuge bestimmungsgemäß auf öffentlichen Straßen aufhalten, während (große) Tiere dort in der Regel nichts zu suchen haben. Überwiegende Tiergefahr wird von der Rechtsprechung regelmäßig selbst dann angenommen, wenn die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs etwa durch unaufmerksame Fahrweise gesteigert wird. Gerade Reitpferde verkörpern für den Straßenverkehr ein hohes Gefahrenpotenzial, weil sie wegen der ihnen eigenen Sensibilität in der Regel schreckhaft sind und oft auf Geräusche oder andere ungewohnte Ereignisse unberechenbar reagieren. Dieser – für den Straßenverkehr besonders gefahrenträchtigen – tierischen Unberechenbarkeit soll gerade § 28 Abs. 1 StVO (siehe oben Rdn 792) vorbeugen.
Rz. 807
Bei einem Unfall von Tieren mit einer Eisenbahn ist bei der Haftungsabwägung zu berücksichtigen, dass regelmäßig der Haftungsteil desjenigen deutlich höher zu bemessen ist, der bei einem Unfall aus Verschulden haftet, wenn der weitere Haftungsanteil allein auf der Betriebsgefahr eines beteiligten Schienenfahrzeuges beruht. Jedoch bleibt auch bei grober Fahrlässigkeit des Tierhalters die Eisenbahnbetriebsgefahr nicht völlig außer Betracht.