Rz. 268

§ 70 UrhG erfasst die Ausgaben urheberrechtlich nicht geschützter Werke oder Texte (etwa alte Manuskripte und Inschriften), wenn sie das Ergebnis wissenschaftlicher sichtender Tätigkeit[423] sind und sich von den bisher bekannten Ausgaben der Werke oder Texte wesentlich unterscheiden (§ 70 UrhG).

 

Rz. 269

Die kollektive Wahrnehmung der Rechte an wissenschaftlichen Ausgaben von Musikwerken erfolgt durch die VG Musikedition www.vg-musikedition.de. Mitglieder werden können Herausgeber, Verfasser, Verleger, Komponisten und Textdichter. Der Gegenstand konzentriert sich überwiegend auf die Zweitverwertungsrechte wie Schulbücher (§ 46 UrhG), Durchsetzung des Fotokopierverbots für Musiknoten (§ 53 Abs. 4 UrhG), Einräumung der Rechte nach §§ 70, 71 UrhG an Notenausgaben (Aufführungsrechte, Senderechte und mechanische Vervielfältigungsrechte) sowie die daraus folgenden Vergütungsansprüche (§§ 27, 54 UrhG). Ausgenommen ist allerdings die Verwertung des Bühnenrechts, die den Rechtsinhabern selbst vorbehalten bleibt.

 

Rz. 270

Weiter besteht auch an Ausgaben noch nicht erschienener nachgelassener Werke ein verwandtes Schutzrecht (§ 71 UrhG). Inhaber dieses Schutzrechts, das erst nach Erlöschen eines Urheberrechts eine Lücke schließt, ist der Herausgeber. Im Unterschied zu § 70 UrhG setzt § 71 UrhG keine wissenschaftliche Leistung voraus.

 

Rz. 271

Die VG Musikedition ist ebenfalls zur Wahrnehmung der Rechte nachgelassener Werke der Musik zuständig (Einzelheiten siehe oben zu § 70 UrhG Rdn 269).

 

Rz. 272

Es muss sich um ein Werk handeln, das bisher nicht erschienen ist oder öffentlich wiedergegeben wurde und dessen Urheberrecht erloschen oder aus sonstigen Gründen gemeinfrei ist. Alternativ kommt auch in Frage, dass ein Werk nicht im Geltungsbereich des Urheberrechtsgesetzes geschützt war und dessen Urheber schon länger als 70 Jahre tot ist.

 

Rz. 273

 

Beispiel

Diese Vorschrift hat bis zum Jahr 2003 kaum eine praktische Rolle gespielt.[424] Erst mit dem Auffinden der "Himmelsscheibe von Nebra"[425] geriet die Norm in das Fadenkreuz des öffentlichen Interesses. Grundlegend hat sich dann der BGH[426] aufgrund eines Rechtsstreites über die Oper Motezuma von Antonio Vivaldi mit dieser Vorschrift befasst. Dort ging es im Wesentlichen darum, ob an der von einem Musikwissenschaftler im Jahre 2005 entdeckten Partitur ein Leistungsschutzrecht nach § 71 UrhG besteht. Das Gericht betont zunächst den Schutzzweck dieser Norm. Dem Herausgeber soll eine Entschädigung dafür gewährt werden, dass das Auffinden und die Herausgabe eines bisher unbekannten oder nur durch mündliche Überlieferung bekannten Werkes oft einen erheblichen Aufwand an Arbeit und Kosten erfordere; darüber hinaus solle das Schutzrecht eine Belohnung und ein Anreiz für die Herausgabe des Werkes sein, die der Allgemeinheit dessen bleibenden Besitz vermittele (Rdn 11).

Allerdings lehnt der BGH die Anwendbarkeit des § 71 UrhG ab, weil sich aus dessen eindeutigem Wortlaut ergebe, dass das ausschließliche Verwertungsrecht nur an einem nicht erschienenen Werk entstehen könne (Rdn 12). Dieses Werk sei aber bereits vorher erschienen. Für das Merkmal des "Nichterscheinens" sei der Kläger darlegungs- und beweispflichtig (Rdn 15). Maßgeblich für den Begriff des Erscheinens ist § 6 Abs. 2 UrhG, wonach ein Werk dann erschienen ist, wenn mit Zustimmung des Berechtigten Vervielfältigungsstücke des Werkes nach ihrer Herstellung in genügender Anzahl der Öffentlichkeit angeboten oder in Verkehr gebracht worden sind. Allerdings genügt es auch, dass ein Werk erstmals öffentlich wiedergegeben wird.[427] Nach Ansicht des BGH war entscheidend, dass die Komposition zur Oper "Motezuma" bereits im Jahre 1733 mit der Verteilung des Notenmaterials an die Beteiligten der Uraufführung und der Hinterlegung eines "Originals" beim Opernhaus gem. § 6 Abs. 2 UrhG erschienen war (Rdn 22).[428]

 

Rz. 274

Lichtbilder werden gem. § 72 UrhG gesondert erfasst. Das sind alle Abbildungen, die dadurch entstehen, dass strahlungsempfindliche Schichten chemisch oder physikalisch durch Strahlung eine Veränderung erfahren. Es bleibt aber auch Raum für neue Technologien.[429] Sie sind nach der gesetzlichen Terminologie Fotografien (auch Film- und Fernseheinzelbilder),[430] die mangels schöpferischer Leistungen die Anforderungen des urheberrechtlichen Werkbegriffes nicht erfüllen.[431] Dazu zählen Aufnahmen, die in Gewerbebetrieben routinemäßig angefertigt werden oder so genannte Liebhaberaufnahmen (zur Abgrenzung gegenüber den Lichtbildwerken siehe Rdn 105).[432] Es muss ein eigenständiges Foto geschaffen werden. Ausreichend sind also keine reinen Reproduktionen.[433]

 

Rz. 275

Verwertungsrechte sind im Rahmen der verwandten Schutzrechte ohne Einschränkung gegeben.[434] Allerdings gibt es Einschränkungen beim Bearbeitungsrecht (§ 23 UrhG), da dieses maßgeblich vom Grad der Individualität abhängt, hier aber gerade fehlt. Bei digitaler Veränderung eines (vollständig oder teilweise übernommenen) Lichtbildes liegt allerdings eine abhäng...

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