Rz. 229
§ 23 Abs. 1 S. 1 UrhG gewährt dem Urheber das Bearbeitungsrecht. Es heißt dort, dass Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werkes nur mit Zustimmung des Urhebers des bearbeiteten oder umgestalteten Werkes veröffentlicht oder verwertet werden dürfen. Dieses Recht wird überwiegend dem Verwertungsrecht zugerechnet, jedenfalls ist es ein "ausschließliches Recht" und nicht nur eine Bestimmung über den Umfang von Verwertungsrechten.
Rz. 230
Der seit der Urheberrechtsreform des Jahres 2021 geltende § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG übernimmt eine Funktion des § 24 UrhG, namentlich die der "freien Benutzung", in dem es dort heißt:
"Wahrt das neu geschaffene Werk einen hinreichenden Abstand zum benutzen Werk, so liegt keine Bearbeitung oder Umgestaltung im Sinne des Satzes 1 vor."
Als Bereichsausnahmen führt § 23 Abs. 2 UrhG auf
▪ |
die Verfilmung des Werkes (Nr. 1), |
▪ |
die Ausführung von Plänen und Entwürfen eines Werkes der bildenden Künste (Nr. 2), |
▪ |
den Nachbau eines Werkes der Baukunst (Nr. 3) oder |
▪ |
die Bearbeitung oder Umgestaltung eines Datenbankwerkes (Nr. 4). |
In diesen Fällen bedarf bereits das Herstellen der Bearbeitung oder Umgestaltung der Zustimmung des Urhebers.
Zur Abgrenzung gegenüber § 3 UrhG ist anzumerken, dass § 23 UrhG ein bestehendes Urheberrecht am Werk voraussetzt, was bei § 3 UrhG nicht der Fall sein muss. Beide Vorschriften kommen nebeneinander zur Anwendung, wenn bei einem bestehenden Urheberrecht an einem Werk die Einwilligung für eine Bearbeitung eingeholt wird. Diese Bearbeitung, für die dann eine Zustimmung notwendig ist, wenn diese veröffentlicht werden soll (Ausnahmen nach § 23 S. 2 UrhG für Bauwerke), genießt dann selbst Schutz nach § 3 UrhG. § 39 UrhG ist die Regelung auf Seiten der Nutzer, die Letzteren im Rahmen von "Treu und Glauben" ausnahmsweise ein Änderungsrecht zugesteht (Abs. 2).
Rz. 231
Beispiel
Wird etwa ein Stück von Johann Sebastian Bach neu bearbeitet, so fällt diese Bearbeitung alleine unter den Anwendungsbereich des § 3 UrhG und kann als solche auch bei der GEMA angemeldet werden. Denn das ursprüngliche Urheberrecht des Komponisten Bach ist inzwischen erloschen.
Rz. 232
Die Bearbeitung verlangt eine eigenschöpferische Leistung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG, was für "andere Umgestaltungen" nicht gilt. Im Hinblick auf Musikurheberrechte kann man sich die Zusammenhänge zwischen Interpretation und Bearbeitung in der Weise veranschaulichen, dass die Interpretation eines Musikstückes, das bereits veröffentlicht ist, mangels Gestaltungshöhe nicht unter den Anwendungsbereich des § 3 UrhG fällt.
Rz. 233
Nach überwiegender Auffassung werden die in § 23 UrhG genannten "anderen Umgestaltungen" so verstanden, dass sie unter Plagiate (bewusste Fremdübernahme) und solche Werke fallen, bei denen der Verfasser mit dem Versuch, die Vorlage zu einer selbstständigen Schöpfung frei zu benutzen, deshalb gescheitert ist, weil er sich von ihr nicht genügend habe frei machen können. Die Interpretation des Musikstückes wird bei einer CD-Veröffentlichung auch von § 23 UrhG erfasst, daneben bei einem öffentlichen Vortrag vom Verwertungsrecht des § 19 Abs. 2 UrhG (Aufführungsrecht). Aus dem zuvor Gesagten folgt, dass jeder das schutzfähige Werk eines anderen ohne dessen Einwilligung verändern darf, solange dieses nicht veröffentlicht oder verwertet werden soll. Auf den ersten Blick scheint dem die Vorschrift des § 39 Abs. 1 UrhG entgegenzustehen, der jedwede Veränderung des Werkes verbietet. Allerdings stellt schon der Wortlaut des § 39 Abs. 1 UrhG klar, dass dieses Änderungsverbot nur im Rahmen der Nutzung Bedeutung erlangen kann, also dem Gegenstück aus Sicht des Urhebers zur Verwertung.
Rz. 234
Hinweis
Wie noch in § 3 im Einzelnen aufzuzeigen sein wird, können Nutzungsrechtinhaber je nach Branche gewisse Änderungen vornehmen, soweit die Einwilligung hierzu keinen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. So ist es als selbstverständlich anerkannt, dass der Produzent eines musikalischen Werkes gewisse Freiheiten im Hinblick auf die Einspielung zur Produktion einer CD/DVD haben muss. Diese Gestaltungsspielräume dürfen aber nicht so weit gehen – und dies ist zu Recht oftmals eine Besorgnis der Urheber –, dass der Musikproduzent letztlich für sich ein Bearbeitungsrecht gem. §§ 3 und 23 UrhG in Anspruch nimmt. Im Hinblick auf das Mitbestimmungsrecht des Urhebers bzw. dessen Rechtsnachfolger bei gemeinfreien Stücken (also nach Ablauf des Urheberrechtsschutzzeitraumes) gibt es nach deutschem Recht keinen "Denkmalschutz" für solche gemeinfreien Werke.
§ 23 Abs. 3 UrhG macht deutlich, dass auf ausschließlich technisch bedingte Änderungen eines Werkes bei Nutzungen nach § 44b Abs. 2 UrhG (allgemeines Text und Data Mining), § 60d Abs. 1 UrhG (Text und Data Mining für die wissenschaftliche Forschung), § 60e Abs. 1 sowie § 60f Abs. 2 UrhG (Kulturerbe-Einrichtungen) die Vorschrift des § 23 Abs. 1 und 2 UrhG nicht anzuwenden ist.