Rz. 329
Nach althergebrachter Rechtssitte (nach römischer Rechtsregel "Da mihi factum, dabo tibi ius", siehe § 138 ZPO) sollte es im Zivilprozess genügen, vor Gericht lediglich den Sachverhalt darzustellen und auf korrekte richterliche Rechtsanwendung ("curia novit iura") zu vertrauen, ohne dass es der Erläuterung seitens der Prozessparteien zu juristischen Auslegungen, Mitteilung von Rechtsansichten oder Rechtsanwendung bedarf. Das Gericht muss anhand des dargelegten und festgestellten Sachverhaltes eigenständig (aufgrund eigener Rechtskunde) das entsprechende Recht auf diesen Sachverhalt anwenden.
Rz. 330
Die Rechtsprechung erkennt die Überforderung der Gerichte und fordert im Anwaltsprozess auch rechtliche Darlegungen durch die beteiligten Rechtsanwälte. Unterlässt es der Anwalt beispielsweise auf ein die Rechtsauffassung seines Mandanten stützendes Urteil des BGH hinzuweisen, und verliert der Mandant deshalb den Prozess, soll der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Anwaltsfehler und dem dadurch entstandenen Schaden nicht deshalb unterbrochen sein, weil auch das Gericht die Entscheidung des BGH übersehen hat.
Rz. 331
Der Anwalt haftet für jeden Fehler, auch bei leichter Fahrlässigkeit, mit der Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB für fehlendes Verschulden. Auch fehlerhafte Rechtsansichten von Gerichten hat er u.U. mitzuverantworten, gesamtschuldnerische Haftung mit den fehlerhaften erkennenden Richtern entfällt aber wegen des Spruchrichterprivileges (§ 839 Abs. 2 BGB beschränkt die Richterverantwortlichkeit vor allem auf Rechtsbeugung, § 339 StGB). Ein Anwalt hat alle Gesetze und Vorschriften bis ins Detail zu kennen oder zu ermitteln; das gilt auch für neueste Gesetze und Entscheidungen. Im Einzelfall muss er vielleicht sogar Gesetzesänderungen vorhersehen.
Rz. 332
Das BVerfG führt in seinem Nicht-Annahmebeschluss zur gemeinschaftlichen Verantwortung von Richter und Anwalt aus:
Zitat
"Von den nicht berufsbezogenen allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts entfernt sich die Rechtsprechung des BGH nicht dadurch, dass eine Haftung des Rechtsanwalts im Regelfall auch dann angenommen wird, wenn ein Fehler des Gerichts insbesondere bei der rechtlichen Aufarbeitung des Streitfalls für den Schaden einer Prozesspartei mitursächlich geworden ist. Der BGH kann vielmehr auf die im Zivilrecht anerkannte gleichstufige Haftung all derjenigen verweisen, die für einen Schaden gleich aus welchen rechtlichen Gründen verantwortlich sind. Hierbei ergibt sich aus dem Umstand, dass die Haftung für den Verursachungsbeitrag des Gerichts durch § 839 Abs. 2 BGB im Unterschied zur Haftung des Rechtsanwalts beschränkt ist, keine Besonderheit. Dass mehrere Verantwortliche einen Schaden herbeiführen, sich aber nicht alle von ihnen auf eine vertragliche oder gesetzliche Haftungserleichterung oder einen Haftungsausschluss berufen können, ist auch in anderen Fallgestaltungen des Schadensersatzrechts anzutreffen und erlangt insbesondere für den internen Ausgleich unter den Gesamtschuldnern Bedeutung."