Rz. 926
Hinweis
Siehe auch Rdn 288 ff., 1507 ff.
Rz. 927
Der anwaltliche Berater wäre überfordert, wenn von ihm allgemein verlangt würde, dass er über eine im Wesentlichen lückenlose Gesetzeskenntnis verfügen und sie in das Beratungsgeschehen einbringen müsste. Erwartet wird von ihm allerdings eine mandatsbezogene Rechtskenntnis, die zudem mit der Informationspflicht des Mandanten in Wechselwirkung steht. Wer einen Fachanwalt-Titel führt oder mit Tätigkeits-/Interessenschwerpunkten wirbt, hat weitergehende Kenntnisse vorzuhalten – und ist daher eher auch in einer Anwaltshaftung.
Rz. 928
Grundsätzlich darf der Rechtsanwalt auf die Richtigkeit und die Vollständigkeit der tatsächlichen Angaben seines Auftraggebers vertrauen, ohne eigene Nachforschungen anstellen zu müssen. Hat der Rechtsanwalt in dem Bereich, der aufgrund des von dem Mandanten mitgeteilten Sachverhalts in rechtlicher Hinsicht zu prüfen und gegebenenfalls in tatsächlicher Hinsicht weiter aufzuklären ist, kein hinreichend präsentes Wissen, hat er sich, wenn er das Mandant weiterführen will, in die Rechtsmaterie in demjenigen Maße einzuarbeiten, das für ihn erkennbar zur Wahrung des Interesses des Auftraggebers notwendig ist. Unterlässt er dies, kann er sich in einem nachfolgenden Regressprozess nicht darauf berufen, dass diese in einer weitgehend unbekannten Rechtsmaterie anzusiedeln seien.
Rz. 929
Das OLG Köln formuliert die Anforderungen an den Anwalt wie folgt:
Zitat
"Umfang und Inhalt der vertraglichen Pflichten eines Rechtsanwalts richten sich nach dem jeweiligen Mandat und den Umständen des einzelnen Falls. In den Grenzen des ihm erteilten Auftrags ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. Er hat dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziele führen, und den Eintritt von Nachteilen oder Schäden zu verhindern, die voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er ihn auch über mögliche Risiken aufzuklären. Ferner hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist. Zweifel und Bedenken, zu denen die Sachlage Anlass gibt, muss der Anwalt darlegen und mit seinem Auftraggeber erörtern. Auf mögliche Bedenken gegen die Erfolgsaussichten hat er den Mandanten hinzuweisen. Ist eine Klage praktisch aussichtslos, muss der Rechtsanwalt dies klar herausstellen und darf sich nicht mit dem Hinweis begnügen, die Erfolgsaussichten seien offen. Er muss von sich aus hinreichend deutlich zum Grad des Risikos und der Wahrscheinlichkeit des Prozessverlusts Stellung nehmen. Von einer völlig aussichtslosen Klage oder Berufung ist abzuraten."
Rz. 930
Der Anwalt, der einschlägige Rechtsnormen übersehen hat, kann sich nicht darauf berufen, es habe sich um eine entlegene Rechtsmaterie gehandelt. Der Anwalt muss sich die mandatsbezogenen Rechtskenntnisse, soweit sie nicht zu seinem präsenten Wissen gehören, verschaffen und sich auch in eine Spezialmaterie einarbeiten. Gerade der Personenschaden ist – nicht zuletzt auch wegen der begleitenden Forderungswechsel – höchst komplex und kompliziert – und damit fehleranfällig.
Rz. 931
Der Anwalt hat die Möglichkeit einer Rechtsprechungsänderung nach Auffassung des VIII. Zivilsenates des BGH stets in Betracht ziehen und dementsprechend bei der Abfassung seiner Schriftsätze berücksichtigen. Nach den Anforderungen des IX. Zivilsenats soll aber der Anwalt grundsätzlich sehr wohl auf den Fortbestand der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertrauen dürfen: Besondere Aufmerksamkeit ist zu verlangen, wo neue Gesetze Auswirkungen auf eine zu dem alten Rechtszustand ergangene Judikatur als möglich erscheinen lassen oder wo ein oberstes Gericht konkrete Hinweise auf die Möglichkeit einer künftigen Änderung seiner Rechtsprechung gibt.
Rz. 932
Neue Entwicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, namentlich das Entstehen neuer Rechtsfiguren, hat der Anwalt allerdings zu sehen und deren mögliche Auswirkungen auf ältere Rechtsprechung zu bedenken. Verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe eines Verfahrens, muss der Anwalt seinen Mandanten über eine damit etwa verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären. Die Annahme einer Aussichtslosigkeit ist in Betracht zu ziehen, wenn die streitentscheidenden Fragen höchstrichterlich abschließend geklärt sind.
Rz. 933
War die Rechtsverfolgung aussichtslos, kann selbst eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung den für ein beratungsgerechtes Verhalten des Mandanten sprechenden Anscheinsbeweis nicht hindern. Eine Deckungszusage gewährt keinen Vertrauenstatbestand zugunsten von Rechtsanwälten, sondern beansprucht ausschließlich im Verhältnis des Versicherungsnehme...